Streit um einen Schülerzuteilungsvertrag: Kostenteiler vs. „Fairnessklausel“

Das Verwaltungsgericht Zürich musste sich kürzlich mit einer Auslegungsfrage in einem Schülerzuteilungsvertrag auseinandersetzen, wo vom Verhältnis zweier Klauseln bedeutende finanzielle Auswirkungen abhingen (Urteil VK.2022.00002 vom 13. Juli 2023).

Zwei Primarschulgemeinden (Weiningen und Oetwil-Geroldswil) hatten sich mit Anschlussvertrag darüber geeinigt, wie viel für die Kinder zu bezahlen sei, die zwar in Weiningen leben aber in einem Schulhaus auf dem Gebiet der Primarschulgemeinde Oetwil-Geroldswil beschult werden.

Der Berechnungsmodus

Der Default-Berechnungsmodus bestimmte sich folgendermassen (aus E. 3.3.1 des Entscheids):

  • Der Anteil der Gemeinde Weiningen (an den Kosten für Schulbetrieb und Verwaltung) richtete sich nach dem Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Wohnsitz in Weiningen an der Gesamtschülerzahl aller Schuleinheiten der Primarschulgemeinde Oetwil-Geroldswil.
  • Zu den Kosten für den Schulbetrieb zählten folgende Positionen:
    • Leistungen für Pensionierte,
    • Primarschule,
    • Mittagstisch und Nachschulische Betreuung,
    • Musikschule,
    • Schulliegenschaften,
    • Volksschule Sonstiges,
    • Sonderschulung (ohne Kosten für externe Sonderschulung),
    • Gesundheitsdienst,
    • Sozialversicherung Allgemeines.

Das Problem des Musikunterrichts und die „Fairnessklausel“

Die Gemeinde Weiningen störte sich an ihrem Kostenanteil für den Musikunterricht, da der Anteil an Kindern aus Weiningen, die in Oetwil-Geroldswil die Musikschule besuchten, verhältnismässig kleiner war als der Anteil der Weininger Kinder in der ganzen Primarschule. Sie bezahlte damit für die Musikschule ihres Erachtens zuviel.

Sie reduzierte entsprechend ihre Kostentragung gestützt auf die „Fairnessklausel“, die der Vertrag ebenfalls vorsah und die folgendermassen lautete (E. 3.3.2):

„Die Parteien streben die vollständige Tragung der jeweiligen Kosten an, die ihre Schülerinnen und Schüler verursachen. Es gilt der Grundsatz der grösstmöglichen Fairness und Ausgeglichenheit. Sollte die Anwendung einer der vorgängigen Bestimmungen dazu führen, dass das Resultat diesen Fairnessgrundsatz verletzt oder sonst wie nicht sachgerecht ist, sind die rechtsanwendenden Behörden berechtigt und verpflichtet, die fragliche Bestimmung so anzuwenden und nötigenfalls im Einzelfall davon abzuweichen, dass das Resultat dem Fairnessgrundsatz wieder entspricht.

Die Primarschulgemeinde Oetwil-Geroldswil akzepierte diese einseitige Kürzung nicht und reichte Klage ein.

Fazit des Verwaltungsgerichts

Vertragsauslegung im öffentlichen Recht

Das Verwaltungsgericht erinnerte zuerst an die Prinzipien der Vertragsauslegung im öffentlichen Recht (E. 3.1):

„Was die Parteien miteinander in einem verwaltungsrechtlichen Vertrag vereinbart haben, bestimmt sich in Ermangelung entsprechender öffentlich-rechtlicher Regeln unter analoger Anwendung des allgemeinen Teils des Obligationenrechts (…). Demnach ist in erster Linie auf den übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien abzustellen (Art. 18 Abs. 1 OR, sogenannte subjektive Vertragsauslegung; …) (…). Wenn der übereinstimmende wirkliche Wille der Parteien unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (sogenannte objektive Vertragsauslegung). Dabei ist vom Wortlaut der Erklärungen auszugehen, welche jedoch nicht isoliert, sondern aus ihrem konkreten Sinngefüge heraus zu beurteilen sind. Demnach ist der vom Erklärenden verfolgte Regelungszweck, wie ihn der Erklärungsempfänger in guten Treuen verstehen durfte und musste, massgebend. Bei der Auslegung öffentlich-rechtlicher Verträge ist zudem in Zweifelsfällen zu vermuten, dass die Verwaltung nicht bereit ist, etwas anzuordnen oder zu vereinbaren, was mit den von ihr zu wahrenden öffentlichen Interessen und der einschlägigen Gesetzgebung im Widerspruch steht (…).

Unklare Fairnessklausel

Das Verwaltungsgericht analysierte die Fairnessklausel und kam zum Schluss, dass diese zu vage sei, um angewendet werden zu können (aus E. 3.3.2):

„Der Fairnessgrundsatz legt weder eindeutig fest, unter welchen Umständen die Berechnungsmodalitäten nach § 3 nicht mehr zur Anwendung kommen sollen, noch stellt er eine klare Ersatzregel für diesen Fall auf. Vielmehr wird auf einen „Grundsatz der grösstmöglichen Fairness und Ausgeglichenheit“ verwiesen, was nur insofern konkretisiert wird, als zugleich festgehalten ist, dass die Parteien eine vollständige Tragung der Kosten anstreben, „die ihre Schülerinnen und Schüler verursachen“. Damit belässt diese Klausel einen grossen Interpretationsspielraum, der in erster Linie durch die Parteien zu konkretisieren ist. Denn ob eine Regelung in einem Vertrag als „fair“ eingestuft wird, hängt letztlich vom Standpunkt der Vertragsparteien ab.

Das Verwaltungsgericht meinte, unter dem Titel der Fairness seien die Positionen beider Parteien potentiell vertretbar.

Verwaltungsgericht erachtete sich unzuständig

Ungünstig war im vorliegenden Fall die Tatsache, dass sich die Fairnessklausel explizit an die „rechtsanwendenden Behörden“ richtete – wozu sich das Verwaltungsgericht als Rechtsmittelbehörde nicht zählte (E. 3.3.2). Entsprechend sah es sich nicht befugt, den objektiven Parteiwillen zu ermitteln (ebenfalls aus E. 3.3.2):

„Die Bestimmung lässt sich deshalb nur so verstehen, dass die Parteien ihre jeweiligen Gemeindevorstände berechtigen, einvernehmlich eine Anpassung der Kostenbeteiligungsregeln vorzunehmen, sollten sie der Auffassung sein, dass diese nicht mehr dem Grundsatz einer verursachergerechten Kostenbeteiligung entsprechen. Soweit die rechtsanwendenden Behörden nach dem Wortlaut auch zu einer Anpassung verpflichtet werden, kann dem nur schon deshalb keine eigenständige Bedeutung zukommen, weil dies einen Konsens darüber verlangte, dass die Voraussetzungen für eine Anpassung gegeben sind. Kommt kein Konsens über eine Vertragsanpassung zustande, bleibt deshalb derjenigen Partei, die die Berechnungsregeln nach § 3 nicht mehr anwenden will, nur die Kündigung der Vereinbarung.

Da die Gemeinde Weiningen demnach nicht berechtigt gewesen war, einseitig die Beträge zu reduzieren, wurde die Klage gutgeheissen und die Gemeinde Weiningen zur Rückzahlung verpflichtet.

Folgerungen für die Vertragspraxis

Aus dem obigen Urteil lässt sich folgern: Eine Fairnessklausel in einem stark gesetzlich regulierten Bereich, wie dies vorliegend für die Volksschule der Fall ist, muss ganz klar vorgeben, (1) wer, (2) wie, (3) unter welchen Voraussetzungen von der Grundregel abweichen kann. Soll sie im Problemfall Abhilfe bieten, sollte sie auch bereits so explizit wie möglich (4) die alternative Lösung oder die Kriterien zum Entwickeln derselben festgehalten werden. Der genauen Default-Berechnungsklausel muss eine möglichst genaue Anpassungsklausel gegenüberstehen.