Rechtsgrundlagenanalyse: Ein bescheidener methodischer Vorschlag

In BGE 147 I 346 musste das Bundesgericht prüfen, ob das Wasserreglement der Gemeinde Auenstein (AG) es erlaube, den Wasserverbrauch der Bürgerinnen und Bürger stündlich zu erheben, während 252 Tagen zu speichern und alle 30 Sekunden per Funk auszusenden. Spoiler Alert: Eine solche Norm enthielt das Wasserreglement nicht und entsprechend durfte die Gemeinde ihre neuen Funkwasserzähler nicht wie geplant einsetzen. Es fehlte die Rechtsgrundlage dafür.

von Esther Zysset

 

Wollte der Gesetzgeber das, was die Verwaltung auch will?

Ein nicht unwesentlicher Teil der juristischen Arbeit im öffentlichen Sektor dreht sich um die folgenden Fragen: Wozu bin ich als Behörde überhaupt berechtigt? Was ist mit den Rechtsnormen gemeint, die ich anwenden muss? Die Challenge, herauszufinden, ob sich ein geplantes Projekt der Verwaltung innerhalb der Vorgaben des Gesetzes umsetzen lässt, lässt sich mit der Rechtsgrundlagenanalyse angehen. Aber worin besteht eine solche „RGA“ denn überhaupt?

Alle, die schon einmal in die Bundesverfassung geschaut haben, wissen es: „Grundlage und Schranke allen staatlichen Handelns ist das Recht“ (Art. 5 Abs. 1 BV). Damit ist schon elegant eingeführt, dass immer eine Rechtsgrundlage für staatliches Handeln nötig ist und dass die Grenzen dieser Rechtsgrundlage, d.h. der Norm, die staatliches Handeln umschreibt, auch gleich die Schranke des Handelns der Verwaltung umschreibt. So weit, so gut.

 

Die Auslegung oder: die Suche nach dem Sinn

Eine RGA, vielen sicherlich als Teil der Projektmanagementmethodik HERMES bekannt, bedingt eine Auslegung des geltenden Rechts. Die Auslegung will herausfinden, was eine Norm genau sagen will, und dazu bedient sich das Bundesgericht eines „pragmatischen Methodenpluralismus“: Ausgehend vom Wortlaut (grammatikalische Auslegung), sucht man nach dem Sinn und Zweck der Norm (teleologische Auslegung), dem Willen des Gesetzgebers (historische Auslegung) und der Bedeutung der Norm angesichts ihrer Platzierung im grösseren Gefüge des Gesetzes (systematische Auslegung). Pragmatisch ist dieses Vorgehen deshalb, weil ausser der Lieblingsmethode des Wortlauts keiner Auslegungsweise der Vorrang zukommt: Es kommt darauf an, wie ergiebig sich diese verschiedenen Methoden erweisen, um eine Rechtsfrage zu beantworten – etwa die oben erwähnte, ob die Umrüstung der Gemeinde Auenstein auf Funkwasserzähler denn grundrechtskonform sei.

 

Ohne Kenntnis des Sachverhalts keine gute Analyse

Bevor man auslegt, muss man jedoch genau verstehen, worin das Vorhaben der Verwaltung genau besteht. Gerade in Digitalisierungsfragen braucht es dafür zuweilen ein vertieftes technisches Verständnis und vor allem eine Einschätzung, wie risikoreich oder demokratierelevant das Unterfangen genau ist. Mit anderen Worten: Ich muss verstehen, wie streng die Anforderungen sind, die an meine Rechtsgrundlage(n) gestellt werden. Brauche ich ein (detailliertes) Gesetz oder reicht eine (detaillierte oder summarische) Verordnung?

 

Wann brauche ich welche Art von Rechtsgrundlage?

Es gibt Kriterien dafür, wann etwas im Gesetz festgehalten werden muss – diese lassen sich zusammensetzen aus der BV (Art. 164) bzw. den Kantonsverfassungen und der Rechtsprechung.

Sehr vereinfacht gesagt braucht es ein Gesetz, wenn
– ein Vorhaben stark in die Grundrechte eingreift oder viele Menschen betrifft,
– die Staatsorganisation oder staatliche Leistungen tangiert sind oder
– wir als Volk aus sonstigen Gründen etwas dazu zu sagen haben sollten, d.h.: wenn es eine gewisse Brisanz aufweist.

Wenn man das Projekt, dessen Rechtsgrundlagen man auf Herz und Niere prüft, einmal verstanden hat und die Risiken des Vorhabens an Art. 164 BV gemessen hat, dann weiss man, ob man ein Gesetz braucht oder ob eine Verordnung ausreicht (sog. Normstufe). Und danach kann man sich der sog. Normdichte zuwenden: Ist das, was in meiner Norm steht, genügend detailliert? Sind alle risikoreichen Aktivitäten – z.B. der Einsatz intelligenter Analysesysteme oder die angedrohten Sanktionen bei Nichtbeachtung – auch hinreichend niedergeschrieben?

 

Abgleich mit der Rechtsprechung bzw. der Kasuistik

Erschwerend kommt dazu, dass die Gerichte die Anforderungen an bestimmte Themen – z.B. Rechtsgrundlagen für Steuern, oder Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie im Polizeibereich, etc. – in eigenen sog. „Rechtsprechungslinien“ konkretisiert, die man ebenfalls kennen muss. Sucht man in der Rechtsprechung, erhält man dann also verschiedenste Puzzleteile, die man zusammensetzen muss, um eine Schlussfolgerung ziehen zu können, so etwa, aus einem ganz anderen und unterdessen folkloristisch anmutenden Gebiet: Ein generelles Rauchverbot in öffentlichen Räumen muss ins Gesetz (BGE 134 I 322), wohingegen die Vorgaben zu Fumoirs die Wirtschaftsfreiheit der Wirte nicht dermassen stark tangiert, so dass sie in einer Verordnung Bestand haben können (BGE 136 I 17, E. 3.2).

 

Wie isst man einen Elefanten?

Um den Elefanten zu essen, bzw. die Rechtsgrundlagenanalyse zu vollbringen, schlagen wir daher folgende Stückelung vor, wobei sich die genaue Abfolge auch anpassen lässt:

1. Sachverhalt: Wie funktioniert das Projekt genau? Was wird gemacht?

2. Erste Einschätzung zu den Risiken des Projekts und zur Normstufe: Wie stark werden Grundrechte vom geplanten Vorhaben tangiert? Wie sieht es mit der « demokratischen Brisanz» aus? Hier helfen die Kataloge von Art. 164 BV und der Kantonsverfassungen.

3. Anforderungen der Rechtsprechung: Welche konkreten Anforderungen bestehen an dieses Szenario (insb. Detailgrad)? Sagt das Bundesgericht dazu etwas?

4. Anwendbare Rechtsnormen: Welche Rechtsnormen finden Anwendung?

5. Auslegung der Rechtsnormen: Was erlauben die relevanten Rechtsnormen im aktuellen Stand der Dinge?

6. Anwendung auf den konkreten Fall (Subsumption): Sind die anwendbaren Normen genügend hoch angesiedelt angesichts der erarbeiteten Anforderungen der Schritte 2-3 (Gesetz/Verordnung)? Sind sie genügend detailliert (Normdichte)? Besteht eine Lücke zu den Anforderungen?

7. Schlussfolgerung:
a. Rechtsgrundlage reicht aus.
b. Rechtsgrundlage reicht nicht aus.

8. Wenn b.: Vorschlag für eine Gesetzesrevision erarbeiten und in Gang bringen.

 

Eine andere Vorgehensweise ist besser? Oder: Sie brauchen Unterstützung mit einer RGA? Unsere E-Mail-Hotline ist offen und freut sich auf Zuschriften: zysset@publicsector.ch.

 

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Bild: Karla Hernandez on unsplash