Instate-Vergaben unter Gemeinwesen: Eine halbe Urteils-Nachlese

Die Tinte im Urteil des Bundesgerichts zum Instate-Privileg ist längst trocken. Eine renommierte Beschaffungsrechtlerin gab indes jüngst öffentlich zu, den Entscheid bis heute nicht voll verstanden zu haben. Das Urteil ist tatsächlich ein Brocken. Deshalb greifen wir es im Detector auf. Verständlicher wird es dadurch nicht. Immerhin bringt der Detector viel Verständnis für die Praxis auf.

PHILIPP DO CANTO

Im Instate-Entscheid äussert sich das Bundesgericht zum ersten Mal zu besonderen öffentlichen Aufträgen, die nicht den Regeln des Vergaberechts unterstellt sind (2C_701/2023 vom 24. Juli 2024, zur Publikation vorgesehen). Worum geht es? Im Jahr 2013 beschlossen drei öffentliche Westschweizer Spitalverbände, ihre Rettungsdienste in einer gemeinsamen Organisation zusammenzufassen, dem Centre de secours et d’urgences du Nord vaudois et de la Broye, kurz CSU-nvb. Die Vereinigung hat den statutarischen Zweck, neben den 144-Notfalldiensten unter anderem Patiententransfers sicherzustellen.

Diese Patientenverlegungen erbrachte CSU-nbv während zehn Jahren parallel zu privaten Transportfirmen. Weil die Kosten bei den Privaten stark anstiegen, zogen die beteiligten Spitäler die Reissleine und beauftragten ihre eigene Rettungsorganisation mit den Patiententransfers per Direktvergabe. Die düpierten Transportfirmen protestierten beim Kantonsgericht auf dem Montbenon. Die Spitalverbände hätten den Auftrag für die Patientenverlegungen öffentlich ausschreiben müssen. Die Beschaffungskammer des Gerichts überzeugte das nicht und schloss auf Nichteintreten. Die Firmen zogen den Fall zwei Busstationen weiter ans Bundesgericht auf dem Mon Repos.

Kein Fall von Quasi in house…

Dieses erkennt zunächst im Streitpunkt, ob ein Auftrag überhaupt nach öffentlichem Beschaffungsrecht anfechtbar sei, jeweils eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 83 lit. f BGG). Die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist eine hohe Hürde für beschaffungsrechtliche Beschwerden ans Bundesgericht. Hier tritt es auf die Sache ein.

Sodann verweist es auf Art. 10 Abs. 2 IVöB 2019 bzw. Art. 10 Abs. 3 BöB. Danach sind die Regeln des Beschaffungsrechts nicht anzuwenden, wenn Leistungen innerhalb des staatlichen Bereichs – also „instate“ – bei „ bei anderen, rechtlich selbstständigen Auftraggeberinnen, die ihrerseits dem Beschaffungsrecht unterstellt sind, soweit diese Auftraggeberinnen diese Leistungen nicht im Wettbewerb mit privaten Anbieterinnen erbringen“, beschafft werden (Bst. b), oder wenn sie quasi intern – also „quasi in house“ – beschafft werden bei „Anbieterinnen, über die die Auftraggeberin eine Kontrolle ausübt, die der Kontrolle über ihre eigenen Dienststellen entspricht, soweit diese Unternehmen ihre Leistungen im Wesentlichen für die Auftraggeberin erbringen“ (Bst. d).

Personen ohne tiefe Kenntnis im Beschaffungsrecht spüren, dass es kompliziert wird. Selbst die Wettbewerbskommission begnügt sich in ihrer Stellungnahme mit dem Vermerk, dass der Fall „vorrangig“ dem staatlichen Bereich zuzuordnen sei („instate“- oder „quasi in house“-Markt) und überlässt die Filigranarbeit dem Bundesgericht. Eine renommierte Beschaffungsrechtlerin gab jüngst öffentlich zu, den Entscheid bis heute nicht voll verstanden zu haben. Eine Aussage, die sich nur ausgewiesene Fachleute leisten können, aber deshalb nicht weniger zutrifft auf den juristischen Brocken. Auch andere Besprechungen bringen nur wenig Licht ins Dunkel.

Das Bundesgericht prüft zunächst das Quasi-in house-Privileg (siehe zit. Bst. d), das dann greift, wenn der Auftrag an ein staatlich kontrolliertes Unternehmen geht (Kontrollkriterium), und wenn das Unternehmen hauptsächlich für die Auftraggeberin tätig ist (Tätigkeitskriterium). Während die staatliche Kontrolle über die Rettungsorganisation keine Probleme bietet, gestaltet sich die Abgrenzung des Tätigkeitskriteriums schwieriger. Nach einer aus dem EU-Recht stammenden Faustregel gilt das Kriterium als erfüllt, wenn das Unternehmen über 80% seiner Umsätze aus Leistungen für die öffentliche Auftraggeberin erzielt. Die Leistungen der CSU-nbv umfassen indes Transporte in der gesamten Waadt, auch an Spitäler ausserhalb des Verbunds. Ein Umsatzvergleich führt das Bundesgericht zum Zwischenfazit, dass die Spitäler sich nicht auf das Quasi-in house-Privileg berufen können (was ihnen vor dem Kantonsgericht noch gelungen war, vgl. Urteil E.6).

…dafür ein Fall des Instate-Privilegs

Gleichwohl schützt das Bundesgericht die Freihandvergabe der Verlegungstransporte an die eigene Rettungsorganisation, indem es den Auftrag als Instate-Beschaffung qualifiziert. Gedacht ist die Instate-Regel in erster Linie für Leistungen, die zwischen unabhängigen Gemeinwesen erbracht werden, bei denen gerade kein Kontrollverhältnis vorliegt. Die Regel wird hier mithin zum Auffangtatbestand, falls das In house-Privileg nicht greift.

Unter diesem Aspekt zeigt das Bundesgericht auf, dass es nicht darauf ankommt, ob private Firmen dieselben Leistungen anbieten wie CSU-nbv, d.h. ob die Spitalverbände die Transportleistungen auch bei Privaten beziehen könnten, was sie ja jahrelang taten. Entscheidend ist vielmehr, ob CSU-nbv die konkreten Transportleistungen in Konkurrenz zu Privaten auch Dritten anbietet. Beim Instate-Privileg wird also nicht auf den Gesamtumsatz des Unternehmens abgestellt, sondern lediglich auf die in Frage stehende «Transaktionsleistung» (Urteil, E. 7.2). Da CSU-nbv die Patiententransfers ausschliesslich zwischen den Verbundspitälern durchführt, tritt sie mit den Leistungen nicht im (übrigen) Markt auf und kann diesen folglich auch nicht verzerren. Deshalb dürfen die beteiligten Spitalverbände die Leistungen instate, d.h. vergabefrei an ihr Unternehmen übertragen.

Dieses Verdikt kritisiert Martin Beyeler von der Uni Fribourg in einer ausführlichen Urteilsbesprechung, die sich wie eine Dissenting opinion liest (BR 2025 S. 17, kostenpflichtig). Dabei stört ihn nicht das Ergebnis, aber der Gedankengang dorthin. Mit guten Argumenten weist er darauf hin, dass bei Dritten erzielte Umsätze nicht beim Quasi-in house-Test als «schädlich» gelten sollten, also eine Freihandvergabe behindern, wenn sie beim Instate-Test dann als unerheblich gelten. Vielmehr sei stärker auf die Zwecksetzung der Bestimmungen abzustellen und die rechtliche Qualifikation der Umsätze entsprechend anders zu handhaben.

Spielraum für öffentliche Auftraggeber

Insgesamt ist das Urteil allerdings positiv aufzugreifen. Zwar gilt es, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Gleichzeitig ist einzuwenden, dass hier gerade Kostensteigerungen bei den Privatfirmen die Spitäler zur Internalisierung der Transportdienste gezwungen haben. Zudem müssen den Gemeinwesen gerade in einem Kontext von Leistungen, die ohnehin staatsgebunden sind, gewisse Spielräume offenstehen. Es wäre stossend, wenn ein Verbund von Gemeinwesen ein Unternehmen zur Erfüllung von öffentlichen Aufgaben gründet (z.B. einen Zweckverband), die betreffenden Leistungen dann aber infolge der Regeln des Vergaberechts nicht beim eigenen Unternehmen abrufen darf, nur weil Privatfirmen ebenfalls solche Leistungen anbieten (anderer Meinung, aber mit guter deutscher Zusammenfassung des Urteils, vgl. hier).

Auf allgemeiner Ebene fällt jedoch negativ auf, dass auch die Beschaffungsbürokratie mittlerweile derart fortgeschritten ist, dass die Bereinigung von streitigen Fragen zur Denksportaufgabe für spezialisierte Fachleute wird: Der Schreibende wird das Urteil erneut von vorn lesen müssen, um alle Facetten zu erfassen. Gleichermassen dürften Fachpersonen in den wachsenden beschaffungsrechtlichen Abteilungen unserer Gemeinwesen über dem Urteil mindestens schwitzen wie wegen der Sommerhitze.