Als John Locke, Montesquieu und Kollegen (Kolleginnen?) vor vielen Jahren an ihren politischen Theorien zur Gewaltenteilung arbeiteten, standen die Machtausübung durch die drei Gewalten und deren gegenseitige Kontrolle im Vordergrund. Dass Daten als Bausteine staatlicher Machtausübung eine zentrale Rolle einnehmen und es darum nötig ist, die Kontrolle über Daten und damit deren Verteilung auf verschiedene staatliche Einheiten in einer Demokratie als grundlegende Frage zu adressieren, war damals wohl noch nicht zuvorderst im Bewusstsein. Die verfügbaren Datenmengen waren damals, so vermuten wir, bedeutend geringer.
Von Esther Zysset
Eine begriffliche Annäherung
Heutzutage ist jedoch klar, dass Daten als Grundlagen für gute (staatliche) Entscheidungen unerlässlich sind. Und hier kommt das Konzept der informationellen Gewaltenteilung ins Spiel. Was ist damit gemeint?
Chinese walls innerhalb der Verwaltung
Im Datenschutzrecht bezeichnet man mit informationeller Gewaltenteilung die Trennung von Datenzugriffen zwischen verschiedenen Stellen innerhalb der Verwaltung. Sog. „chinese walls“ verhindern, dass die Daten, die die Steuerverwaltung über mich hat, auch gleichzeitig noch für die Mitarbeitenden der Einwohnerkontrolle und des Baudepartements uneingeschränkt zugänglich sind. Das Datenschutzrecht verbrieft diese Anforderung mit mehr oder weniger strengen Regeln zur Datenbekanntgabe zwischen Amtsstellen, manchmal auch „informationelle Amtshilfe“ genannt. Dieser Ansatz fokussiert auf die Einschränkung von Zugriffen – er ist wichtig, es ist aber nicht diese Ausprägung der informationellen Gewaltenteilung, die wir hier im Kopf haben.
Montesquieu 2.0: Daten für das Parlament?
In dem hier verstandenen Sinn interessiert uns die informationelle Gewaltenteilung in der Art und Weise, wie Locke, Montesquieu und Kolleginnen sie dachten: Kann es sein, dass es gerade in Zeiten der Digitalisierung sinnvoll ist, die Datenhaltung beim Staat nicht immer zu zentralisieren, sondern gerade bewusst dezentral auszugestalten? Bedeuten kann dies sodann auch, dass Daten teilweise auch redundant gespeichert werden. Was auf den ersten Blick aus der Perspektive der Effizienz kontraintuitiv wirken kann, kann zu einer Stärkung der Gewaltenteilung beitragen. Die Machtkonzentration in der Hand einer Behörde kann gehemmt werden. Damit verlagert sich der Fokus aber auf die Standardisierung von Datenformaten, damit Daten auch tatsächlich dann, wenn sie weiterzugeben sind, weitergegeben werden können und dass diese Weitergabe nicht daran scheitert, dass die Systeme der Steuerverwaltung von Uri die Einwohnerdaten von Nidwalden nicht lesen können.
Konkret zu betrachten ist dabei auch die Rolle des Parlaments: In ihrem Buch „Automated Democracy – Die Neuverteilung von Macht und Einfluss im digitalen Staat“ (2024), postulieren Christian R. Ulbrich und Bruno S. Frey eine datenmässige Aufrüstung der Legislative. Die Verwaltung erhebt und analysiert Daten und bereitet damit auch die Grundlagen für viele Parlamentsentscheide auf. Damit muss sich das Parlament wesentlich auf das Datenmaterial der Verwaltung, also der Exekutive abstützen. Als zentrale Idee schlagen Ulbrich und Frey nun vor, dass Parlamente eigene strukturelle Einheiten schaffen könnten, die Daten eigens für die Legislative auswerten und aufbereiten – „parlamentarische Datenzentren“ gewissermassen (vgl. dazu S. 263). In bestimmten Fällen könnte das Parlament sogar ermächtigt werden, selbst Daten zu erheben. Auch hier wird die redundante Haltung von Daten nicht primär mit Ineffizienz in Verbindung gebracht, sondern mit einer Stärkung der Gewaltenteilung. In Bemühungen um die Digitalisierung des Staates kann der Einbezug dieser Gedanken potentiell auch wertvolle Dienste zur nachhaltigen Stärkung der Demokratie leisten.
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