Haushalte und Gewerbe verbrauchen jährlich Wasser im Volumen des Bielersees. Das blaue Gold gilt in der Schweiz als unerschöpfliche Ressource. Gleichwohl häufen sich Berichte über Versorgungsengpässe nach Phasen grosser Trockenheit. Haben die Haushalte Anspruch auf Trinkwasser und was gilt, wenn dieses fehlt?
von Philipp do Canto
Die Schweiz versorgt heute 9 Millionen Menschen über ihre öffentliche Wasserversorgung. Die privaten Haushalte verbrauchen durchschnittlich 142 Liter pro Person und Tag. Zusammen mit Industrie, Landwirtschaft und Gewerbe kommen wir auf einen Gesamtverbrauch von 163 Litern pro Person und Tag. Die Schweiz leert jährlich einen Speicher von der Grösse des Bielersees.
Eine gute Nachricht vorweg: Trotz dieses Volumens werden vom Oberflächen- und nutzbaren Grundwasser gerade einmal 1,5% gebraucht. Die Schweiz verfügt über immense Wasserreserven.
Dann eine Nachricht, die für uns gut sein mag, für andere aber nicht: Unser Wasserverbrauch sinkt trotz Bevölkerungswachstum. Einerseits schonen wir die Ressourcen besser als früher – Beispiel Ökofunktion im Geschirrspüler. Anderseits haben wir intensive Tätigkeiten wie Fleischproduktion oder Kleiderherstellung ins Ausland ausgelagert, wo dann die entsprechenden Zusatzmengen verbraucht werden.
Trockene Brunnen im Wasserschloss
Schliesslich die schlechte Nachricht: Trotz schier unerschöpflichen Reserven häufen sich Situationen von Wasserknappheit. Kurzfristige Verbote zur Wasserentnahme aus Bächen und Flüssen haben stark zugenommen. In der Westschweiz wird das Verbot, im Sommer den Garten zu bewässern, zur Gewohnheit. Entnahmestopps dauern zudem immer länger und betreffen nicht mehr nur den Hochsommer, sondern können bis im November anhalten.
Die Evidenz zeigt, dass Beschränkungen in der Schweiz in den letzten 20 Jahren häufiger, länger und grossflächiger geworden sind. War der Sommer 2003 noch ein Ausnahmeereignis, gilt Trockenheit heute als wiederkehrende Bedingung. Vor allem für die Landwirtschaft ist das eine bedrohliche Entwicklung. Betroffene wehren sich gegen Verbote (Allgemeinverfügungen) mit verwaltungsrechtlichen Beschwerden. Trockene Brunnen in der Schweiz: Wie passt das zum Bild vom Wasserschloss?
Infrastrukturkosten und administrative Hürden
Die Antworten liegen in der Infrastruktur und dem Versorgungsrecht. Die Herausforderung liegt nicht in der Knappheit, sondern in der Verteilung und dem Management der Wasserressourcen. Das öffentliche Leitungsnetz für Trinkwasser umfasst 90’000 Kilometer. Der Wiederbeschaffungswert der gesamten Wasserversorgungsinfrastruktur liegt laut einer Studie des BAFU bei 59 Milliarden Franken.
Investitionen von Zweckverbänden in neue Anlagen kosten enorme Summen und brauchen die Zustimmung der Gemeindeversammlung – Stichwort obligatorisches Finanzreferendum. Hinzu kommen die planungsrechtlichen Verfahren. Deshalb sind nicht nur die Leitungen lang, sondern auch die administrativen Abläufe. Gerade kleine Gemeinwesen stossen an ihre Grenzen. So kann es kommen, dass das Wasser bei Engpässen nicht mehr ausreicht.
Solidarität und Redundante Versorgungssysteme
Bund und Kantone schauen der Entwicklung indes nicht tatenlos zu. Auf Bundesebene gilt die Verordnung über die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung in Notlagen (VTN). Die Verordnung überbindet einen Versorgungsauftrag in Mangellagen an die Kantone. Diese delegieren den Auftrag in ihren Wassergesetzen an die Gemeinden (exemplarisch: Wasserversorgungsgesetz Basel-Landschaft). Die Sicherheit der Versorgung muss folglich auch in Mangellagen gewährleistet sein.
Wie werden Krisen bewältigt? Hier gilt zunächst das Solidaritätsprinzip. Bei Wasserknappheit besteht eine Abgabepflicht zwischen den kommunalen Zweckverbänden. Wasser, das der eine Versorger nicht benötigt, muss an die Mangel leidende Gemeinde verkauft werden. Damit keine Zisternenwagen von einer Gemeinde zur andern fahren, müssen die Versorger redundante Systeme bauen. Jede Wasserversorgung soll ihren Bedarf aus mindestens zwei voneinander unabhängigen Wasserressourcen decken können. Mithin muss jeweils eine ausreichende Zweiteinspeisung, also Redundanz, bestehen. Was ganz einfach klingt, ist in der Praxis eine Herausforderung.
Grundlage für die redundanten Systeme sind die Regionalen und Generellen Wasserversorgungsplanungen der Kantone (RWP/GWP), welche Szenarien für Normalbetrieb, Spitzenbetrieb und den Störfall umfassen sowie Massnahmen für die langfristige Versorgungssicherheit definieren. Der Bund baut zudem mit der nationalen Trockenheitsplattform ein Frühwarnnetz auf.
Sind die Versorgungsnetze fit für das neue Klima?
Die Krux bei der Redundanz: Sinkt bei grosser Trockenheit der Wasserstand z.B. in Konolfingen BE, dann wird auch das benachbarte Oberhünigen unter Stress stehen (die Namen sind zufällig gewählt und sagen nichts aus über die Qualität der Wasserversorgung). Im Bericht zur Trockenheit im Sommer 2022 stellt das BAFU nämlich fest, dass fast alle Kantone von Problemen betroffen waren. Stehen beide Speisungen auf Tiefstand, ist Redundanz somit keine langfristige Lösung.
Insgesamt sind also die Ressourcen vorhanden. Für die Zukunft, die bereits begonnen hat, liegt der Fokus auf der optimalen Verteilung in Krisensituationen. Expertisen fordern angesichts der zunehmenden Trockenphasen in der Schweiz eine verstärkte regionale Koordination, eine beschleunigte Vernetzung zwischen Versorgern und weitere präventive Massnamen. Kluge öffentlich-rechtliche Verträge und sparsamer Umgang mit Wasser spielen für die Zukunft eine grosse Rolle. Doch auch die Investitionsbereitschaft der Gemeinden und schlanke Verfahren sind gefragt.
Image credit: Swisstopo/Copernicus
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