Urs Egli und Esther Zysset haben kürzlich gemeinsam ein Mandat bearbeitet, bei denen u.a. Verträge des öffentlichen Rechts zu schreiben waren. In einem Debriefing per Mail tauschen sie sich darüber aus, ob sich Vertragsredaktion im öffentlichen und im privaten Recht unterscheidet und sinnieren darüber nach, was einen guten Vertrag ausmacht.
Von Esther Zysset
On 20 May 2025, at 11:42, Urs Egli <Urs.Egli@suterhowald.ch> wrote:
Liebe Esther
Wir haben kürzlich ein Mandat miteinander bearbeitet, in welchem es um die Gestaltung öffentlich-rechtlicher Verträge ging. Du hast die Dokumente entworfen. Ich habe die Klientenseite abgedeckt.
Du hast zum verwaltungsrechtlichen Vertrag dissertiert. Ich habe in meiner beruflichen Praxis sehr viele privatrechtliche Verträge geschrieben, verhandelt, beurteilt und gebe Schulungen zur Vertragsgestaltung und Verhandlung. Es war für mich sehr interessant zu sehen, wie unterschiedlich unser Zugang zur Textarbeit war. Deine Texte waren klar (sind meine natürlich auch), aber vor allem waren sie wohltuend kurz. Woran mag das liegen?
Liebe Grüsse
Urs
Von: Esther Zysset <zysset@publicsector.ch>
Gesendet: Dienstag, 20. Mai 2025 14:54
An: Urs Egli <Urs.Egli@suterhowald.ch>
Lieber Urs
Das Mandat hat sehr viel Spass gemacht – vor allem weil unsere Kompetenzen sich so gut ergänzt haben.
Spannend war ja, dass mit den Verträgen u.a. eine öffentlich-rechtliche Organisation gegründet werden sollte, dort brauchte es dein Corporate Know-how wie auch mein öffentlich-rechtliches Wissen.
Zur Kürze der Verträge: Wir haben Verträge geschrieben, die in ein enges “gesetzliches Korsett” hineinpassen mussten. Das war herausfordernd, weil damit wenig Gestaltungsspielraum besteht. Andererseits gibt es für jeden Inhalt, der in den Vertrag gegossen werden muss, eine gesetzliche Norm. Damit sind Lücken in unseren Verträgen (von denen es hoffentlich nur wenige gibt) vielleicht auch schneller gefüllt als im Zivilrecht, wo die Vertragsparteien einen enormen inhaltlichen Spielraum haben.
Was macht aus deiner Sicht einen guten Vertrag aus?
Herzlich, Esther
On 23 May 2025, at 10:40, Urs Egli <Urs.Egli@suterhowald.ch> wrote:
Liebe Esther
Ein guter Vertrag ist einer, der verstanden wird. Ich erlebe häufig, dass Klienten durch die Länge und Komplexität der Vertragstexte überfordert sind. Das hat auch mit der angelsächsischen Vertragskultur zu tun, welche sich im Geschäftsleben durchgesetzt hat. Zu den Vor- und Nachteilen vielleicht mal später.
Ein guter Vertrag beschreibt die geschäftliche oder private Transaktion. Ich orientiere mich an folgender Prüfregel:
• Wer sind die Vertragsparteien?
• Was ist die Leistung?
• Wann wird geleistet?
• Wieviel kostet es?
Wenn ein Vertrag für diese Punkte Antworten hat, ist es ein guter Vertrag. Bei allen Prozessen, welche ich im Vertragsrecht führte, war einer dieser Punkte unklar.
Was mir bei unserer Arbeit aufgefallen ist: Du hast nicht hinterfragt, ob man dieses oder jenes noch präziser formulieren könnte. Keine Definitionitis, keine Sätze, die wie mathematische Formeln gebaut sind, sondern gesunder Menschenverstand und Sprachgefühl.
Könnte das damit zusammenhängen, dass im öffentlichen Recht die Offizialmaxime und im Privatrecht die Dispositionsmaxime gelten? Warum ich das sage? In den wenigen öffentlich-rechtlichen Verfahren, die ich führte, habe ich gemerkt, wie die Gerichte der Sache von sich aus auf den Grund gehen wollten. Zivilgerichte hingegen halten sich sehr zurück und überlassen den Parteien das Feld. Das führt bei Vertragsstreitigkeiten zu Wortklaubereien, der man mit ausführlichen Vertragstexten zuvorkommen will, was nur zu noch mehr Wortklauberei führt. Ein Teufelskreis…
Liebe Grüsse
Urs
Von: Esther Zysset <zysset@publicsector.ch>
Datum: Donnerstag, 5. Juni 2025 um 18:55
An: Urs Egli <Urs.Egli@suterhowald.ch>
Lieber Urs
Diese Prüfregel hattest du sogar einmal auf blauen Karten drucken lassen – vor ca. zehn Jahren hast du mir eine geschenkt.
Stell’ dir vor: Ich habe sie behalten (das heisst, sie hat in der Zwischenzeit sicher etwa fünf radikale Ausmistaktionen überlebt!) und sie kürzlich meinem Mitarbeiter weitergegeben, um ihn bei Vertragsprüfungen dabei zu unterstützen, die richtigen Fragen zu stellen.
Wir suchen in Verträgen nach Klarheit, und sie ist in der menschlichen Kommunikation schwer zu erzielen. War es George Bernard Shaw, der gesagt hat: “The single biggest problem in communication is the illusion that it has taken place”? Im öffentlichen Recht haben wir diese Herausforderung unter Umständen auch, aber in unserem Vertragsbeispiel gab uns das Gesetz bereits einige Definitionen vor, so dass wir nicht in angelsächsischer Manier alles definieren mussten.
Dein Punkt mit der Offizialmaxime ist enorm spannend. Im öffentlichen Recht geschieht Vertragsauslegung über weite Strecken gleich wie im Zivilrecht, mit der wichtigen und m.E. nicht immer vollends überzeugenden Ergänzung, dass man davon ausgeht, dass die Behörde nichts vereinbaren wollte, was mit dem öffentlichen Interesse im Widerspruch steht. Angesichts der doch vielgestaltigen öffentlichen Interessen ist dieser Zusatz nicht immer hilfreich. Und wenn nicht zwei Behörden, sondern eine Behörde und ein Privater einen Vertrag des öffentlichen Rechts eingehen, wird damit ganz unverfroren der öffentlichen Perspektive der Vorrang gegeben.
Im Zivilrecht hat man die Illusion, dass sich zwei gleichberechtigte und waffengleiche Parteien in einem Vertragsverhältnis (oder später in einem Zivilprozess) gegenüberstehen, womit ja auch die Dispositionsmaxime durchaus nachvollziehbar ist. Aber ist das auch tatsächlich so, in den grossen kommerziellen Vertragspaketen, die du verhandelst?
LG Esther
Von: Urs Egli <Urs.Egli@suterhowald.ch>
Gesendet: Sonntag, 15. Juni 2025 15:21
An: Esther Zysset <zysset@publicsector.ch>
Liebe Esther
Es freut mich sehr, dass die 4W-Regel so in Erinnerung geblieben ist. Wir hatten kürzlich in unserem gemeinsamen Mandat ja einen Anwendungsfall bei der Frage: Wer ist für eine Gebietskörperschaft zeichnungsberechtigt?
Zu deiner Frage nach der Gleichberechtigung im Vertragsrecht: Ich glaube, dass sie eine Fiktion ist. Im sozialen Privatrecht (Miet- und Arbeitsrecht, Konsumentenrecht, AGB) hat der Gesetzgeber das Ungleichgewicht zwischen den Parteien erkannt und gewisse Rechtsregeln zum Schutz der schwächeren Partei (Arbeitnehmer, Mieter, Konsumenten) für zwingend anwendbar erklärt. Aber auch ausserhalb dieses Bereichs gibt es nie absolute Waffengleichheit. Die eine oder andere Partei sitzt immer am etwas am längeren Hebel. Der Hebel heisst Verhandlungsmacht. Diese wird massgeblich durch die BATNA bestimmt, ein Akronym aus der Verhandlungslehre für «best alternative to negotiated agreement». Ein Grundsatz bei der Vertragsgestaltung lautet: «Wer schreibt, führt.» Wer einen Vertrag entwerfen darf, kann gefühlte 50 Stellschrauben alle voll auf die Seite seiner Klientschaft stellen. Die andere Seite muss dann mühsam alle Schrauben finden und sie zurückdrehen. Schwierig.
Eine BATNA gibt es auch im öffentlichen Recht. Sie heisst Rechtsdurchsetzung, Legalitätsprinzip, Rechtsgleichheit.
Liebe Grüsse
Urs
Von: Esther Zysset <zysset@publicsector.ch>
Gesendet: Freitag, 27. Juni 2025 08:48
An: Urs Egli <Urs.Egli@suterhowald.ch>
Lieber Urs
Du triffst den Nagel auf den Kopf: Die BATNA des Vertrags im öffentlichen Recht ist die «Rechtsdurchsetzung», oft praktisch konkretisiert durch die Verfügungsbefugnis der Behörde. Einigt man sich nicht, kann die Behörde oft auf ihre relativ breite Verfügungsbefugnis abstellen und die Situation einseitig regeln.
Dieser Umstand schmälert den vertraglichen Handlungsspielraum bedeutend und ist meines Erachtens einer der Hauptgründe, weshalb sich der Vertrag im öffentlichen Recht ausserhalb spezifischer Situationen nicht so recht etablieren kann. Verträge werden zwar geschlossen, aber niemand weiss genau, welche Regeln im Streitfall gelten und richtig weit kann man sich vom gesetzlichen Umfeld mit dem Parteienkonsens nicht entfernen. Darüber müsste jemand wohl einmal noch eine Habilitationsschrift verfassen.
Herzlich, Esther
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