Der EU AI Act – zu Deutsch «Verordnung über künstliche Intelligenz» oder vereinfacht «KI-Verordnung» (KI-VO) – ist seit Kurzem in Kraft (FN: https://commission.europa.eu/news/ai-act-enters-force-2024-08-01_en). Währenddessen nimmt es der Schweizerische Bundesrat etwas gemütlicher und prüft seine Optionen zur Regulierung künstlicher Intelligenz in der Schweiz; bis Ende 2024 soll ihm das UVEK eine Übersicht möglicher Regulierungsansätze abliefern. (FN: https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-98791.html)
In der Zwischenzeit fragen sich KI-interessierte Mitarbeitende in der öffentlichen Verwaltung vielleicht: Betrifft uns diese vielbesagte KI-Verordnung im helvetischen öffentlichen Sektor? Darauf wollen wir an dieser Stelle eine Antwort geben.
Die kurze Antwort lautet: Nein, nicht direkt. Gemeint ist damit: nicht in rechtsverbindlicher Weise. Bei genauerem Hinsehen gibt es aber durchaus ein paar beachtenswerte Punkte.
I – Zum EU-Ansatz
Die KI-Verordnung gilt mit wenigen Ausnahmen (z.B. Zwecke der nationalen Sicherheit oder der Forschung und Entwicklung) für den Einsatz von KI-Systemen in der ganzen Gesellschaft. Sie fokussiert auf die Produktesicherheit und macht nicht prinzipiell Halt vor staatlichem Einsatz – im Gegenteil: Betrachtet man die Auflistung von Hochrisiko-KI-Systemen, sind die dort beschriebenen Szenarien solche staatlicher Nutzung (siehe dazu sogleich unten). Bei den Pflichten wird dabei auf zwei Ebenen angesetzt: bei der Einstufung eines KI-Systems[1] nach Risiko in eine von vier Kategorien sowie bei der Eigenschaft als «Anbieter» (provider) oder «Betreiber» (deployer) eines KI-Systems (dazu ebenfalls sogleich).II – Der Anwendungsbereich
Behörden in der EU als «Betreiberinnen» von KI-Systemen
Der Anwendungsbereich der KI-Verordnung umfasst zwar auch Behörden, jedoch nur solche in der EU (Art. 2 Abs. 1 lit. a-c KI-VO). Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die KI-Verordnung als transversale Regulierung gerade auch auf den öffentlichen Sektor eine Auswirkung haben wird. Die KI-Verordnung unterteilt KI-Systeme bekanntermassen in mehrere Risikokategorien:- KI-Systeme mit inakzeptablem Risiko, die komplett verboten sind (Art. 5 KI-Verordnung);
- Hochrisiko-Systeme, die umfangreichen Pflichten unterliegen;
- KI-Systeme, die – als Ausnahme von den Hochrisiko-Systemen – nicht als besonders risikobehaftet gelten; und
- KI-Systeme, die lediglich Transparenzvorgaben umsetzen müssen.
- Kritische Infrastruktur;
- Allgemeine und berufliche Bildung;
- Zugänglichkeit und Inanspruchnahme grundlegender öffentlicher Dienste;
- Strafverfolgung;
- Migration, Asyl und Grenzkontrolle;
- Rechtspflege und demokratische Prozesse.
Aber die DSGVO gilt manchmal auch für die Schweiz? Ist das für den EU AI Act nicht dasselbe?
Kennt man die Datenschutz-Grundverordnung der EU (DSGVO), mag man einwenden, dass diese auch extraterritorial zur Anwendung kommen kann; nämlich dann, wenn für Personen in der EU Angebote oder Dienstleistungen erbracht werden oder wenn das Verhalten von Personen in der EU beobachtet wird (Art. 3 Abs. 2 DSGVO). Ist ein ähnlicher Mechanismus nicht auch allenfalls in der KI-Verordnung zu finden? Ja, der EU AI Act wurde auch einen extraterritorialen Anwendungsbereich versehen. Er gilt etwa für Anbieter von KI-Systemen, die in der EU KI-Systeme in Verkehr bringen oder in Betrieb nehmen bzw. KI-Modelle mit allgemeinem Verwendungszweck in Verkehr bringen, auch wenn sie selbst ausserhalb der EU niedergelassen sind (Art. 2 Abs. 1 lit. a KI-VO). Aus der Sicht öffentlicher Behörden in der Schweiz dürfte dieser Anwendungsfall kaum je spielen. Interessanter ist diesbezüglich die Anknüpfung des Anwendungsbereichs an «betroffene Personen, die sich in der Union befinden» (Art. 2 Abs. 1 lit. g KI-VO). Gemeint ist damit, dass von KI-Systemen generiertes Material in der EU verwendet wird, was offenbar mit Absicht zu geschehen hat, nicht nur rein zufällig. [FN. Erwägung 22, Martina Arioli, Rz. 51, David Rosenthal, Rz. 31.]. Typischerweise sind solche Anwendungsfälle im öffentlichen Sektor rar, weil sich die Ausübung staatlicher Befugnisse auf das eigene Territorium zu konzentrieren hat. Jedoch sind durchaus Situationen denkbar, in denen auch mit Absicht KI-generierter Output an Personen in der EU gerichtet wird. Etwa dann, wenn eine öffentliche Hochschule Studieninteressierte aus der EU anzieht und diesen im Zulassungsverfahren eine KI-gestützte Absage erteilt. Es wird aufmerksam zu verfolgen sein, was die neuen Behörden, die von der KI-Verordnung geschaffen werden (nationale Behörden, KI-Gremium, Büro für Künstliche Intelligenz), zu diesem Punkt veröffentlichen werden. III –Wie kann ich mir den EU AI Act in der öffentlichen Verwaltung der Schweiz zunutze machen?- a) Als Inspiration im Gesetzgebungsprozess
- b) Im Beschaffungsverfahren