Im Schweizer Gesundheitswesen schreitet die Digitalisierung voran, wenn auch gemächlich. Optimierungen im Datenaustausch sollen die Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern fördern und die Gesundheitsversorgung stärken. Bei der Umsetzung sind indes Hürden zu überwinden, die vom Datenschutz über lange Beschaffungsprozesse bis zur fehlenden Teilnahme der Bevölkerung reichen. Ein Überblick.
von Philipp do Canto
Die Schweiz hat nach wie vor eine sehr hochstehende Gesundheitsversorgung, paradoxerweise hinken wir aber mit der Vernetzung und bei der Dateninfrastruktur hinterher. Anstehende Grossprojekte mit massiven Investitionen sollen dies ändern. Dieser Post liefert einen Überblick zu aktuellen Entwicklungen im breiten Feld der Gesundheitsdigitalisierung. Er enthält Links zu Beiträgen oder zu Projekten im Schweizer Gesundheitswesen. Klicken Sie dafür auf die kursiv gedruckten Passagen.
Elektronisches Patientendossier (EPD): Live, aber nicht lebendig.
Die Mutter aller Digitalisierungsprojekte ist das nationale elektronische Patientendossier EPD. Als wäre das Vorhaben nicht schon komplex genug, wurde es noch durch die Corona-Pandemie erschwert, so dass die Einführung des EPD im Jahr 2022 von der Öffentlichkeit praktisch nicht wahrgenommen wurde. Per August 2025 waren etwas mehr als 120’000 Dossiers eröffnet, gemessen an der Bevölkerung ein bescheidener Wert. Anlasten kann man dies nicht allein den Anbietern des EPD, sondern auch den Patienten, die nur laues Interesse zeigen. Ebenfalls noch in Entwicklung ist die Anbindung diverser Leistungserbringer ans System.
Krankenhausinformationssysteme (KIS): Epische Prozesse
Das Universitätsspital Zürich USZ hat im August 2025 den Zuschlag für ein neues KIS für 10 Jahre an die amerikanische IT-Firma Epic Systems erteilt. Gegen den Zuschlag mit einem Vergabewert von rund 95 Millionen Franken erhob eine Mitbieterin Beschwerde. Zudem reichte eine Reihe von Zürcher Kantonsrätinnen und -räten eine Interpellation ein, die sich kritisch mit dem US Cloud Act und Datenschutzfragen auseinandersetzt.
Beim Kispi, dem Kinderspital der Zürcher Eleonorenstiftung, ist die Lage noch verworrener. Eine Beschwerde gegen die KIS-Vergabe an Epic Systems wurde zwar zurückgezogen, aber eine Beschaffung kann infolge der angespannten Finanzlage zurzeit nicht realisiert werden.
Ennet dem Röstigraben sieht es nicht anders aus. Das Waadtländer Universitätsspital CHUV in Lausanne und die angegliederten Regionalzentren setzen offenbar ebenfalls auf eine Zusammenarbeit mit der genannten US-Anbieterin. Dort geht es im Prozess aber um die öffentliche Ausschreibung selbst und nicht um den Zuschlag: Man steht quasi auf Feld 1. Im Januar hat das Kantonsgericht die Beschwerde einer Mitbewerberin abgewiesen. Das Argument der fehlenden Wirtschaftlichkeit einer Einheitslösung für alle kantonalen Spitäler überzeugte die Verwaltungskammer des Kantonsgerichts nicht. Seit Februar ist der Fall vor Bundesgericht hängig. Dieses hat mit einem Zwischenentscheid die Fortsetzung der Ausschreibung vorläufig gestattet.
Berner Gesundheitsplattform: Die politische Debatte geht live
Im Kanton Bern läuft ein Gesetzgebungsprojekt, mit dem alle regionalen Spitäler an eine kantonale Gesundheitsplattform unter der Ägide des Inselspitals angeschlossen werden sollen. Im Sommer 2025 wurde der Entwurf in die Vernehmlassung geschickt, der dem Regierungsrat die Kompetenz geben würde, Spitäler mit Mehrheitsbeteiligung des Kantons zum Anschluss an die Gesundheitsplattform zu verpflichten. Die Kosten für den Aufbau werden auf 11 Millionen Franken geschätzt, hinzu kommen Migrationskosten.
Die Plattform selbst soll bei der genannten US-Firma bezogen werden. Eine gesetzlich verordnete Beschaffung macht indes einen Bieterwettbewerb obsolet. In der kürzlich abgeschlossenen Vernehmlassung werden daher trotz grundsätzlicher Unterstützung für die Digitalisierung des Berner Spitalbereichs auch Bedenken geäussert (Offenlegung: Public Sector Law war teilweise in die Vernehmlassung involviert).
Die Entwicklungen in den Kantonen Bern, Waadt und Zürich vermitteln eine Vorstellung von den Diskussionen, die in anderen Kantonen und Zentren zu KIS oder Vernetzungsprojekten geführt werden. Im Fazit läuft ein epischer Streit zwischen den grossen Versorgern, die die amerikanische Anbieterin bevorzugen und der Schweizer Wirtschaft und Politik, die den fehlenden Wettbewerb und die Datensicherheit in Frage stellen.
Ausnahmen sind die Kantone Genf und Wallis, die an ihren Unispitälern ein eigenes KIS namens DPI+ (Dossier Patient Intégré Plus) eingeführt haben. Die Eigenentwicklung soll die Unabhängigkeit von privaten Anbietern stärken, strategische wirtschaftliche Kontinuität gewährleisten und den Datenschutz verstärken.
DigiSanté: Die grosse Aufholjagd
Ein weiteres Schlüsselprojekt ist das Nationale Programm zur Förderung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen DigiSanté. Mit einem Verpflichtungskredit von 392 Millionen Franken für 10 Jahre von 2025 bis 2034 umfasst es zahlreiche Projekte in vier Bereichen: Interoperabilität (einheitliche Standards), Infrastruktur, digitale Behördenangebote sowie Planung und Forschung. Allen Projekten ist gemeinsam, dass sie den Rückstand der Schweiz bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens aufholen sollen.
Im Mai 2025 wurde das strategische Branchengremium von DigiSanté mit 43 Organisationen aus dem Gesundheitswesen eingesetzt. Das Gremium wird zuhanden des Bundesrats Empfehlungen abgeben, wie einzelne Projekte aufeinander abgestimmt und priorisiert werden sollen. Es ist zu hoffen, dass das Programm trotz der auch kritisch betrachteten Grösse des Branchengremiums rasch erste Resultate präsentieren kann.
Mit geringeren Budgets, aber vergleichbaren Zielen laufen zurzeit auch kantonale Bestrebungen. Als Beispiel sei eBeGE genannt, die elektronische Bewilligung im Gesundheitswesen, mit der Leistungserbringerinnen und -erbringer ihre Gesuche künftig online einreichen können.
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Bild: Mangadarstellung via Perplexity


