Die Aufzeichnung des Podiums der BFH und der Swiss Data Alliance, an dem Esther Zysset am 4. November 2022 mit Christian Laux über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Behördencloud diskutierte, findet sich hier:
In diesen Spalten wurde bereits von den Schwierigkeiten beim Marktzugang für Fachpersonen der Osteopathie mit ausländischen Diplomen berichtet. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gibt nun Anlass, das Thema weiter zu beleuchten.
Der Hintergrund
Mit der Einführung des Bundesgesetzes über die Gesundheitsberufe (GesBG) wurden die Bedingungen für die Zulassung zum Osteopathieberuf in der Schweiz neu geregelt. Im Zentrum steht die Bewilligungspflicht für osteopathische Behandlungen in fachlicher Eigenverantwortung. Ausländische Diplome müssen bis zum Ablauf einer Übergangsfrist am 1. Februar 2025 anerkannt sein, sonst droht den betreffenden Fachpersonen ein Berufsverbot. Das trifft besonders jene hart, die bereits seit längerem und noch unter den älteren, günstigeren Berufsvorschriften der Kantone praktizierten.
Die einzelnen Bewilligungsvoraussetzungen werden im genannten Update besprochen. Hier geht es um das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und dessen Auswirkungen auf ausländische Diplome (Urteil B-2844/2020 vom 18. März 2022).
Der Streitgegenstand
Das Urteil befasst sich mit einem Masterdiplom in Osteopathie, das an einer österreichischen Fachhochschule erworben wurde. Das für die Anerkennung zuständige Schweizerische Rote Kreuz SRK lehnte die Anerkennung mit der Begründung ab, der betreffende Studiengang sei nicht entsprechend den österreichischen Vorschriften akkreditiert worden. Der Studiengang sei mit einer privaten Weiterbildung gleichzusetzen, welche nicht anerkannt werden könne. Zudem bilde dieser keine eigenständige Ausbildung. Die Osteopathie sei in Österreich nicht reglementiert und folglich hätten die dortigen Behörden keine Bescheinigung der Anerkennung des Studiengangs ausgestellt.
In der dagegen erhobenen Beschwerde macht der Diplominhaber geltend, der ihm verliehene Titel in Osteopathie sei ein staatlich validierter Ausbildungsnachweis im Sinne von Art. 13 Abs. 2 der europäischen Berufsanerkennungs-Richtlinie 2005/36/EG. Die Ausbildungsstätte sei eine akkreditierte Fachhochschule, die den Osteopathie-Lehrgang entsprechend anbieten dürfe.
Beschwerdeführer und SRK tauschten sodann Privatgutachten zweier renommierter Rechtsprofessorinnen aus, deren Divergenz das Bundesverwaltungsgericht dahin gehend zusammenfasst, dass gemäss der Seite des Beschwerdeführers der EU-primärrechtliche Grundsatz der Nichtdiskriminierung zum Tragen komme, während die Seite des SRK davon ausgehe, dass einzig die Regeln der RL 2005/36/EG anzuwenden seien.
Man nimmt bei der Lektüre des Urteils also zur Kenntnis, dass es nicht um die materielle Gleichwertigkeitsbewertung des umstrittenen Masterdiploms selber geht, sondern um den formellen Status der Osteopathie und des konkreten Studiengangs in Österreich. Mithin muss das Gericht also eine vorgelagerte Frage behandeln.
Die staatliche Akkreditierung des Bildungsgangs
Der Spruchkörper zitierte zunächst Art. 13 RL 2005/36/EG, der die Anerkennungsbedingungen nach dem sog. Allgemeinen System festhält, das infolge des Freizügigkeitsabkommens mit der EU auch in der Schweiz gilt. Ein Kernelement der Bestimmung ist der Verweis auf die «reglementierte Ausbildung», einen Begriff, den das Gericht in der Folge als Massstab an den Studiengang des Beschwerdeführers legt (Erw. 2.3 und 3.).
Die reglementierte Ausbildung nach Art. 3 Abs. 1 Bst. e Richtlinie 2005/36/EG ist eine Ausbildung, die speziell auf die Ausübung eines bestimmten Berufes ausgerichtet ist und aus einem abgeschlossenen Ausbildungsgang oder mehreren abgeschlossenen Ausbildungsgängen besteht. Aufbau und Niveau der Berufsausbildung müssen in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats festgelegt sein oder von einer zu diesem Zweck bestimmten Behörde kontrolliert oder genehmigt werden.
Unter Verweis auf ein ähnlich gelagertes Urteil des Bundesgerichts zum vormaligen kantonalen Recht führt das Bundesverwaltungsgericht aus: «Ob es sich bei der Fachhochschule um eine mit der erforderlichen Befugnis ausgestattete Stelle handelt, beurteilt sich unabhängig von den materiellen Voraussetzungen für die Anerkennung. Es kommt darauf an, ob die Fachhochschule Ausbildungsnachweise im Sinne von Art. 13 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Bst. d RL 2005/36/EG ausstellen kann» (Erw. 3.4.2).
Nach eingehender Auseinandersetzung mit dem österreichischen Hochschulorganisationsrecht kommt das Gericht zum Schluss, dass die vorliegende Akkreditierung der Fachhochschule die Voraussetzungen der Richtlinie erfüllt: «Bei der Fachhochschule handelt es sich daher um eine zuständige Stelle, die staatlich anerkannte Ausbildungsnachweise für die Anwendung von Massnahmen […], zu denen im österreichischen System die Methoden der Osteopathie zählen, ausstellt» (Erw. 3.4.7).
Das SRK hatte sich weiter auf den Standpunkt gestellt, das Diplom stelle eine physiotherapeutische Ausbildung dar. Auch dieses Argument verwarf das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf das vorgelegte Studiencurriculum (Erw. 3.5.).
Die Rückweisung an das SRK
Sieg auf der ganzen Linie für den Beschwerdeführer also? Nicht ganz. Denn die eigentliche Bewertung des Diploms hat ja noch gar nicht stattgefunden, weil das SRK dies bereits aus formellen Gründen ablehnte. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Sache deshalb zurück an das SRK: «Es wird somit zu prüfen sein, ob die erworbenen Ausbildungsnachweise ein Berufsqualifikationsniveau mindestens unmittelbar unter dem Niveau nach Art. 11 der Richtlinie bescheinigen (Art. 13 Abs. 2 Bst. b Richtlinie 2005/36/EG). Im Weiteren ist festzustellen, ob der Beschwerdeführer eine Berufspraxis von mindestens zwei Jahren in den letzten zehn Jahren nachweisen kann. Das Erfordernis einer zweijährigen, in einem «anderen Mitgliedstaat» ausgeübten Berufspraxis kann nach der Rechtsprechung auch unter bestimmten Voraussetzungen im Aufnahmestaat erfüllt werden […]. Ergibt die Überprüfung der Berufsqualifikation, dass in inhaltlicher Hinsicht erhebliche Unterschiede bestehen, kann der Aufnahmemitgliedstaat Ausgleichsmassnahmen verlangen.»
Der lange Weg für den Beschwerdeführer ist damit noch nicht abgeschlossen und es besteht ein Risiko, dass das SRK Ausgleichsmassnahmen wie z.B. eine Eignungsprüfung auferlegt.
Die Auswirkungen auf Diplome anderer Länder
Dass das Diplom materiell verglichen werden muss, ist allerdings ein wesentlicher Schritt. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht die Türe auch für Diplome aus Staaten, in denen die Osteopathie nicht berufsrechtlich reglementiert ist, weiter aufgestossen. Bislang war eine materielle Prüfung nur Diplomen aus Staaten mit reguliertem Beruf, etwa Frankreich oder England, vorbehalten. Das Gericht in St. Gallen hat, wie zuvor schon das Bundesgericht, zudem klar gestellt, dass Diplome von privaten Hochschulen grundsätzlich in Betracht fallen, wenn die Ausbildungsstätte die erforderliche staatliche Akkreditierung aufweist.
Viele Fachpersonen werden sich nun fragen, was der Entscheid für den eigenen ausländischen Mastertitel in Osteopathie bedeutet. Werden deutsche oder schwedische Diplome nun vom SRK einfach durchgewinkt? Dies ist zwar zu bezweifeln, aber die Chancen steigen, dass die Diplome materiell mit dem Schweizer Master verglichen werden und somit grundsätzlich anerkennungsfähig werden – wenn auch mit Ausgleichsmassnahmen. Es kommt im Einzelfall auf den besuchten Ausbildungsgang an, in welchem Land das Diplom erworben wurde und auf die persönliche Praxiserfahrung der Osteopathin oder des Osteopathen. Mit der steigenden Zahl der vom SRK begutachteten Diplome wird sich auch herausstellen, welche ausländische Hochschulen die besseren Chancen auf Diplomanerkennung in der Schweiz bieten. Das Bundesverwaltungsgericht wird auch dabei voraussichtlich das eine oder andere Wort mitreden.
In einem kürzlich ergangenen Urteil hat das Bundesgericht einen Leistungsvertrag geprüft, bei dem es um die Übertragung der Führung von Sekundarklassen an eine private Institution im Kanton St. Gallen ging. Interessant ist dabei zweierlei:
1) Welche gesetzliche Grundlage braucht der strittige Leistungsvertrag?
2) Kann der Leistungsvertrag allenfalls selbst eine gesetzliche Grundlage darstellen?
Obwohl öffentlich-rechtliche Verträge (oder verwaltungsrechtliche Verträge, die beiden Begriffe werden in der Schweiz meist synonym verwendet) zum juristischen Alltag gehören, ist oftmals nicht klar, wie eingehend solche Verträge gesetzlich abgestützt sein müssen. Das Legalitätsprinzip verlangt, dass jedes staatliche Handeln auf einer gesetzlichen Grundlage fusst (Art. 5 BV); gleichzeitig kommt dem Vertrag als Handlungsform im öffentlichen Recht aber nur dann ein eigener Platz zu, wenn die Parteien damit auch Inhalte vereinbaren können, die sich nicht in einer wortwörtlichen Niederschrift von Gesetzesbestimmungen erschöpfen. Dieses Spannungsfeld kann im Einzelfall beträchtliche Rechtsunsicherheit mit sich bringen.
Im Urteil vom 5. November 2021 (Verfahren 2C_136/2020 und 2C_137/2020) hat das Bundesgericht zu dieser Thematik zwei interessante Bausteine geliefert. Es ging konkret um die politische Gemeinde Wil (die “Stadt”), die ursprünglich mit dem Kloster St. Katharina (das “Kloster”), einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, einen Vertrag über die Führung einer Mädchensekundarschule geschlossen hatte. Dieser Vertrag wurde nach einigen Jahren angepasst, was Anlass zum hier besprochenen Verfahren gab. Einerseits übernahm im Zuge dieser Anpassung die vom Kloster gegründete privatrechtliche Stiftung St. Katharina (die “Stiftung”) die Führung der Schule, andererseits wollte nun die Stadt mitbestimmen, welche Schülerinnen aus der Gemeinde an der Privatschule die Sekundarstufe besuchen durften.
Gegen den Beschluss des Stadtparlaments Wil, der den abgeänderten Vertrag guthiess, wurde Abstimmungsbeschwerde geführt. Mit Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird u.a. geltend gemacht, dass der Vertrag über keine genügende gesetzliche Grundlage verfüge.
Einen eleganten Ausweg aus der Frage nach der gesetzlichen Grundlage lieferte die Rechtsnatur und Tragweite des Vertrags, die das Bundesgericht zuerst analysiert (Erwägung 4.1): Beim Vertrag über die Übertragung der Führung von Mädchensekundarklassen an die Stiftung handle es sich um einen öffentlich-rechtlichen Leistungsvertrag. Damit werde inhaltlich eine staatliche Aufgabe, nämlich die “Beschulung” von Jugendlichen an der Sekundarstufe, an eine private Leistungserbringerin übertragen. Sowohl aufgrund der Kantonsverfassung des Kantons St. Gallen als auch der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf eine solche Übertragung einer gesetzlichen Grundlage. Handelt es sich um eine wichtige Regelung, muss diese auf der Normstufe des Gesetzes festgehalten werden.
Zum Einwand, es handle sich bei der vorliegenden Übertragung nicht um eine wichtige Regelung, fand das Bundesgericht klare Worte (E. 4.3.1):
“Das Argument überzeugt nicht. Der Entscheid einer Gemeinde, einer privaten Institution die Führung von Sekundarschulklassen anzuvertrauen, hat weitreichende Folgen, sowohl für die betroffenen Schülerinnen und Schüler als auch für den Schulbetrieb der öffentlichen Schule. Wenn auch durch die öffentliche Aufsicht über die Privatschulen grundsätzlich gewährleistet wird, dass die vom Kathi beschulten Schülerinnen einen der öffentlichen Schule gleichwertigen Unterricht erhalten, so tangiert die Vereinbarung wesentliche Grundrechtspositionen der Wiler Schüler und Schülerinnen. Wenn auch keine Verpflichtung seitens der Wiler Schülerinnen besteht, das Kathi zu besuchen, so wirken sich dessen Zugangsbedingungen diskriminierend auf die Schülerinnen und Schüler aus Wil aus, da nur eine beschränkte Anzahl Mädchen und keine Buben Zugang zum Kathi erhalten. Des Weiteren wirft die religiös geprägte Ausrichtung des Kathi die Frage auf, ob der Anspruch der Wiler Schülerinnen auf einen konfessionell neutral geführten Unterricht (Art. 15 Abs. 3 BV) gewährleistet ist. Schliesslich gilt es zu berücksichtigen, dass die staatliche Finanzierung einer Privatschule zur Folge hat, dass der öffentlichen Schule Finanzmittel entzogen werden, was sich negativ auf die Qualität des Leistungsangebots der öffentlichen Schule auswirken kann.”
Erkenntnis 1: Mit der Feststellung, es handle sich um die eigentliche Übertragung einer staatlichen Aufgabe, werden die Anforderungen an die gesetzliche Verankerung des Leistungsvertrags angehoben. Vorliegend bedarf es also eines Gesetzes, und die Analyse der gerichtlichen Instanzen führte zum Schluss, dass weder das Volksschulgesetz noch die Gemeindeordnung der Stadt Wil die nötige(n) Bestimmung(en) enthielten.
Im Übrigen: Was noch zu einer staatlichen Aufgabe gehört und was nicht, ist ebenfalls oftmals unklar. Insbesondere stellt sich beim Beizug privater Leistungserbringer jeweils die Frage, ob die eigentliche staatliche Aufgabe ausgelagert werde, oder nur eine Tätigkeit, die mittelbar zur Erfüllung staatlicher Aufgaben beiträgt [1]. Vorliegend fällt die Antwort jedoch klar aus: Ja, der Betrieb einer Sekundarschule ist als Erfüllung einer staatlichen Aufgabe zu verstehen.
Die Stiftung brachte gegen die obenerwähnte Erkenntnis das Argument vor, es handle sich beim Vertrag selbst um eine gesetzliche Grundlage; dies deswegen, weil er dem fakultativen Referendum unterstanden hätte und somit die politischen Rechte, die zur Schaffung eines Gesetzes dazugehören, geltend gemacht werden konnten.
Dieser Ansatz ist deswegen spannend, weil mit der Erkenntnis, der Vertrag selbst stelle eine genügende gesetzliche Grundlage dar, die oben gefundene Lücke (Erkenntnis 1) sogleich wieder gefüllt werden könnte.
Das Bundesgericht meinte dazu, was ein formelles Gesetz sei und ein solches ausmache, ergebe sich aus dem kantonalen Recht. Diesbezüglich könne auch ein Vertrag in Frage kommen (E. 5.2):
“Je nachdem vermag auch ein Vertrag, der dem fakultativen Referendum unterlag, selber als gesetzliche Grundlage zu dienen […]. Dasselbe gilt für Konkordate […]. “
Vorliegend war es dem Bundesgericht aus prozessualen Gründen nicht möglich, selbst zu prüfen, ob das massgebliche Gemeindegesetz des Kantons St. Gallen es erlaube, den Vertrag selbst als gesetzliche Grundlage anzunehmen. Es hat das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache zur Prüfung dieser noch offenen Frage zurückgewiesen.
Erkenntnis 2: Wenn die nötige materielle gesetzliche Abstützung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags unklar verbleibt, kann je nach Situation der Vertrag selbst in einem Verfahren verabschiedet werden, die ihm die Gesetzeseigenschaft zukommen lässt.
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Verträge des öffentlichen Rechts und die korrekte gesetzliche Verankerung einer Vorgehensweise gehören zu unseren Spezialitäten: Kommen Sie gerne mit uns ins Gespräch.
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[1] Vgl. dazu etwa Bernhard Rütsche, Was sind öffentliche Aufgaben?, in: recht 2013, S. 153-162; weitere Referenzen dazu: Esther Zysset, Nachträgliche staatliche Einwirkung auf den verwaltungsrechtlichen Vertrag mit Privaten, Basel 2020, S. 89-91.