Seit Inkrafttreten der DSGVO sind drastische Sanktionen, allen voran hohe Bussen, im Bereich des Datenschutzes Realität geworden. Auch in der Schweiz wurde das Datenschutzrecht angepasst, auf Bundesebene das DSG und in den Kantonen die Datenschutzgesetze, die für kantonale öffentliche Organe gelten. Diese bringen neue, einschneidende Pflichten mit sich. In diesem Text beleuchten wir die Frage, was bei Nichteinhaltung geschieht: Haben auch kantonale öffentliche Organe nun mit schweren Sanktionen und insb. hohen Bussen zu rechnen?
Hohe Bussen bei Verstössen gegen das Datenschutzrecht sind in Europa zur Praxis geworden. Als Beispiel unter mehreren: Im Sommer 2021 sorgte die luxemburgische Datenschutzbehörde für Schlagzeilen, weil sie dem Technologiekonzern Amazon eine Rekord-Busse in der Höhe von 746 Millionen Euro auferlegte.
Auch wenn die DSGVO auf Tätigkeiten von Behörden in der Schweiz in den meisten Fällen nicht anwendbar sein wird (und selbst dann, wenn sie anwendbar sein sollte, ausserhalb des EU-Raums der Vollzug nur beschränkt möglich ist), so führen verschiedene für die Schweiz verbindliche internationale Rechtsinstrumente dazu, dass das schweizerische Datenschutzrecht in weiten Teilen inhaltlich dem Europäischen gleichwertig auszufallen hat (wie wir im Update hier berichteten).
Wie sieht die Situation für kantonale Behörden aus, die Personendaten bearbeiten? Mit welchen Sanktionen haben sie bei einem allfälligen Datenschutzverstoss zu rechnen?
Fangen wir mit der ersten Frage an: Welche Gesetze sind überhaupt anwendbar? In erster Linie sind das jeweils die kantonalen Datenschutzgesetze des Trägerkantons der Behörde. Dazu sind gewisse Minimalstandards aus Staatsverträgen zu beachten: So etwa die Schengen-Richtlinie 2016/680, die als Pendant der DSGVO dasselbe Datenschutzniveau für die Strafverfolgung und -vollstreckung einführt, das Übereinkommen des Europarats zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten (SEV Nr. 108, hiernach «Konvention 108»), sowie das Protokoll zur Änderung der Konvention 108 (SEV Nr. 223). Letzteres ist noch nicht in Kraft getreten, wurde von der Schweiz aber bereits unterzeichnet. Viele Kantone entschieden sich, die Vorgaben der Schengen-Richtlinie gleich für das ganze kantonale Recht zu übernehmen, um unterschiedliche Datenschutzniveaus in verschiedenen Behörden zu verhindern (für eine Darstellung des Zusammenspiels dieser Rechtsgrundlagen sei noch einmal auf unser Update verwiesen).
Was geben diese Minimalstandards im Bereich der Sanktionen vor und wie werden sie in den Kantonen umgesetzt? Art. 10 der Konvention 108 nimmt die unterzeichnenden Staaten in die Pflicht, «geeignete Sanktionen und Rechtsmittel» gegen Datenschutzverstösse zu treffen. Mit dem Änderungsprotokoll werden diese zu «geeignete[n] gerichtliche[n] und aussergerichtliche[n] Sanktionen und Rechtsmitteln[n].» Art. 57 der Schengen-Richtlinie 2016/680 hält fest, dass die Sanktionen «wirksam, verhältnismässig und abschreckend» sein müssen. Bussen als solche werden vom völkerrechtlichen Minimalstandard nicht vorgegeben.
Zwar haben einige kantonale Gesetzgeber Sanktions-Artikel in das kantonale Datenschutzgesetz eingeführt, welche Bussen androhen (vgl. §40 IDG ZH, §51 IDG BS). Die in den soeben zitierten Beispielen jeweils vorgesehenen Sanktionen gelten allerdings nur gegenüber beauftragten Dritten, nicht jedoch für das betreffende öffentliche Organ selbst.
Dass öffentliche Organe keine Bussen bezahlen müssen, kann aus fiskalischer Perspektive nachvollzogen werden: Büsst ein öffentliches Organ das andere, wechselt das Steuergeld von einer staatlichen Kasse in die andere. Die DSGVO, die in den EU-Mitgliedstaaten auch auf deren öffentliche Organe anwendbar ist, sieht ihrerseits auch eine Öffnungsklausel vor, wonach die Mitgliedstaaten im nationalen Recht definieren können, ob Bussen auch für öffentliche Organe gelten oder nicht (Art. 83 Abs. 7 DSGVO). Entsprechend sind in einigen EU-Mitgliedstaaten für öffentliche Behörden ebenfalls keine Bussen vorgesehen.
Kantonale Behörden unterstehen aber der Kontrolle und der Weisungsbefugnis der jeweiligen kantonalen Datenschutzbehörde (vgl. §30 ff. IDG ZH, §37 ff. IDG BS). Diese kann sich Datenbearbeitungen genau ansehen (§35 IDG ZH), Empfehlungen erlassen (§36 IDG ZH) und bei missachteten Empfehlungen auch Verwaltungsmassnahmen verfügen: So kann sie anordnen, dass die Bearbeitung von Personendaten ganz oder teilweise angepasst, unterbrochen oder abgebrochen wird und die Personendaten ganz oder teilweise gelöscht oder vernichtet werden.
Ferner spielt in der Praxis die Sorge über Reputationsschäden eine einigermassen grosse Rolle – diese können sich dann ergeben, wenn Datenschutzverstösse öffentlich bekannt werden, wie dies jüngst die Einwohnergemeinde Rolle schmerzlich erfahren musste.
Zum Zeitpunkt unserer Recherche waren die neusten Tätigkeitsberichte für 2021 der untersuchten Kantone noch nicht verfügbar. Dem Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten Basel Stadt 2017-2019 ist zu entnehmen, dass in den Jahren des Berichtszeitraums je 2-4 Kontrollen durchgeführt wurden (vgl. S. 26 ff. hier). Ganz schlagkräftig ist die Aufsichtsstelle damit noch nicht. Allerdings macht die Kontrollaufgabe auch nur einen kleinen Teil der ca. 600 Stellenprozent starken Behörde aus.
Der damalige Datenschutzbeauftragte Zürich führte mit seinem rund 1000 Stellenprozent starken Team im Jahr 2019 immerhin 30 Kontrollen durch. Das Ziel von 40 Kontrollen pro Jahr konnte aus Ressourcengründen nicht erreicht werden, wie dem Tätigkeitsbericht 2019 (S. 10 hier) zu entnehmen ist. Im Krisenjahr 2020 verlagerten sich die Tätigkeitsschwerpunkte, weshalb die jetzige Datenschutzbeauftragte in diesem Jahr trotz mehr Personalressourcen insgesamt nur 10 Kontrollen durchführen konnte (S. 11 hier).
Der gesamteuropäische Trend hin zu einem schlagkräftigeren Datenschutzrecht ist auch in den Kantonen angekommen. So sind dort vielerorts die Pflicht zur Meldung von Datenschutzverstössen oder zur Durchführung von Datenschutz-Folgenabschätzungen bereits Realität. Auch wenn die kantonalen Aufsichtsstellen sich bis anhin noch zurückhalten mit Kontrollen und Sanktionen, so ist jedoch zu erwarten, dass sie diese in den kommenden Jahren ausweiten werden. Für kantonale Behörden heisst das, dass sie gut beraten sind, sich mit den neusten Entwicklungen des Datenschutzrechts auseinanderzusetzen und namentlich dafür zu sorgen, dass organisationsintern Prozesse und Verantwortlichkeiten so definiert sind, dass der Datenschutz im Alltag umgesetzt werden kann und dies auch dann, wenn ihnen keine hohen Bussen drohen.
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Mit der Einführung des Gesundheitsberufegesetzes sind die Regeln für die Osteopathie strenger geworden. Wer eine Berufszulassung in der Schweiz möchte, braucht einen Mastertitel oder ein anerkanntes Diplom. Dies gilt auch für Berufsleute, die bereits seit längerem praktizieren. Nun hapert es bei der Anerkennung ausländischer Diplome. Für viele liegt die Hoffnung deshalb bei der Verwaltungsjustiz.
Die Osteopathie hat sich in der Schweiz gut etabliert. Lange als Pseudowissenschaft betitelt, gilt die manuelle Heiltherapie heute als anerkannter Gesundheitsberuf. Im Bundesgesetz über die Gesundheitsberufe, kurz GesBG, wird die Osteopathie seit 2020 einheitlich geregelt und auf die gleiche Ebene wie z.B. Physiotherapie oder Ernährungsberatung gestellt.
Das GesBG regelt auch die Zulassungsbedingungen für die Osteopathie. Wer in fachlicher Eigenverantwortung Behandlungen anbietet, braucht dafür eine Bewilligung. Wesentliche Voraussetzung für eine Berufszulassung ist der Bildungsnachweis. Das GesBG verlangt einen Masterabschluss der Fachhochschule oder einen gleichwertigen Titel. Bislang wurde an Studienabsolventen das interkantonale Diplom in Osteopathie der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) verliehen. Für sie ändert sich vorerst nichts. Laut GesBG sind die interkantonalen Diplome dem neuen Mastertitel FH gleichgestellt.
Ein ganz anderes Bild präsentiert sich bei den ausländischen Osteopathie-Diplomen. Deren Inhaber müssen die Hürde der Diplomanerkennung nehmen. Osteopathinnen und Osteopathen mit nicht anerkannten ausländischen Diplomen brauchen bis spätestens 1. Februar 2025 eine Anerkennung. Nach diesem Datum droht der Entzug der bestehenden Bewilligung oder die Ablehnung eines neuen Bewilligungsgesuchs. Einem Bericht der NZZ am Sonntag zufolge sind von dieser Regelung landesweit bis zu 600 Osteopathinnen und Osteopathen betroffen.
Nun sind einige Kantone dazu übergegangen, die neuen Anforderungen bereits heute durchzusetzen. Therapeuten berichten von amtlich angeordneten Praxisschliessungen. Andere Praxen finden keine Fachleute mit dem erforderlichen Bildungsnachweis auf dem Arbeitsmarkt. Krankenkassen verweigern die Leistungsübernahme bei nicht anerkannten Therapeuten. Die Spielräume für Berufsleute ohne Anerkennung werden enger.
Die Diplomanerkennung wird damit zur Schlüsselstelle einer halben Berufsbranche. Denn was im Gesetz nach einer Formalität tönt, ist in der Realität für viele Fachleute ein Spiessrutenlauf. Die bislang für die Anerkennung der Gleichwertigkeit zuständige Kommission der GDK zeichnete sich durch eine äusserst restriktive Praxis aus. Auf Beschwerde von Betroffenen hin musste das Bundesgericht bereits mehrmals korrigierend eingreifen und warf den Behörden auch schon formelle Rechtsverweigerung vor.
Lange anerkannte die GDK-Kommission grundsätzlich keine Diplome von privaten Hochschulen im Ausland. Dies ist deshalb heikel, weil ein Grossteil der ausländischen Studiengänge in Osteopathie an Privathochschulen angeboten werden. Das Bundesgericht stellte klar, dass auch «private» Diplome grundsätzlich anerkennungsfähig sind, wenn der betreffende Masterstudiengang im Ausland staatlich akkreditiert ist. Auch dann unterzog die GDK solche Diplome aber einer strengen Qualitätskontrolle aus fachlicher Sicht.
Mit der Einführung des GesBG übernahm das Schweizerische Rote Kreuz SRK die Diplomanerkennung. Erste «Pre-Checks», – so heisst die standardisierte Vorprüfung der Anerkennungsgesuche –, und definitive Entscheide verheissen für die Betroffenen nichts Gutes. Von Besitzerinnen und Besitzern von Diplomen aus Deutschland, Frankreich und anderen Nachbarländern fordert das SRK einen Anpassungslehrgang mit Prüfung. Die Krux dabei: ein solcher Kurs wird in der Schweiz gar nicht angeboten. Bislang bietet einzig die Fachhochschule Westschweiz einen fünfjährigen Vollzeit-Masterlehrgang in Osteopathie an. Immatrikuliert werden pro Jahr nur gerade 30 Studierende. Ein zweiter Studiengang in der Deutschschweiz steht erst in Planung. Zwischen der Regulierung und der Realität in der Osteopathie öffnet sich eine Lücke, in die nicht wenige Berufsleute zu fallen drohen.
Gerade für Osteopathinnen und Osteopathen, die schon lange in der Schweiz tätig sind, hätte ein Entzug oder die Verweigerung der Bewilligung wegen fehlender Anerkennung einschneidende Folgen. So verwundert es nicht, wenn gestandene Berufsleute den Gang ans Gericht als letzte Option sehen. Das Bundesverwaltungsgericht ist die erste Anlaufstelle für Beschwerden gegen negative Anerkennungsbeschlüsse des SRK. Ein klärendes Urteil steht indes noch aus.
Entscheidend ist die Auslegung der europäischen Anerkennungs-Richtlinie RL 2005/36. Die Richtlinie ist für die Schweiz verbindlich und wird in einer Verordnung des Bundes (GesBAV) konkretisiert. Ein mutmasslich im Zusammenhang mit einem Verwaltungsprozess erstelltes Rechtsgutachten der Uni Fribourg kommt zum Schluss, dass auf Anerkennungsgesuche für Diplome aus dem EU-Raum aufgrund der Richtlinie zwingend eingetreten werden muss. Bessere Karten hat auch, wer seine Ausbildung in einem Land absolviert, in dem Osteopathie ein regulierter Beruf ist.
Ein Lichtblick für erfahrene Berufsleute ist sodann ein jüngeres Urteil des Bundesgerichts, der höchsten Instanz der Schweiz. Der Fall betrifft einen Osteopathen mit französischem Diplom (D.O.), der im Kanton Wallis seit dem Jahr 2000 eine Praxis betreibt. Die Behörden verweigerten die Anerkennung mit Verweis auf die fehlenden zwei Praxisjahre im Anschluss an die Ausbildung und unter Aufsicht einer Inhaberin oder eines Inhabers des interkantonalen Diploms. Das Bundesgericht bezeichnete es als «schockierend», dass die Erfahrung des Osteopathen nicht berücksichtigt werde. Denn der Therapeut konnte bis 2012 gar nichts vom Erfordernis der Praxisjahre unter fachlicher Aufsicht wissen. Die betreffende Regelung trat erst in jenem Jahr in Kraft. Zu dieser Zeit hatte der Osteopath schon zwölf Jahre Berufserfahrung gesammelt.
Auch wenn der Fall noch zum alten Recht vor Einführung des GesBG ergangen ist, ist er doch ein klares Signal an das SRK – und die Krankenkassen –, bei Fachleuten mit langjähriger Praxis in der Schweiz die erworbene Berufserfahrung gebührend zu berücksichtigen. So wie es die Vorschriften verlangen.
In der rechtlichen Diskussion schwingt zuletzt aber auch eine ethische Frage mit. Die Betroffenen sind meist einheimische Berufsleute, die für die Ausbildung in die EU gehen mussten und anschliessend in der Schweiz den Beruf ausübten. Ist es korrekt, diesen Fachpersonen nun im Nachhinein den Stecker zu ziehen? Manchmal riecht es etwas stark nach Formalin im Land.
Fazit: Die Regulierung des Berufsbilds Osteopathie setzt hohe Hürden für Fachpersonen mit ausländischen Diplomen. Bei jetzigem Stand der Dinge liegt es in der Hand der Gerichte, den SNAFU für viele Osteopathinnen und Osteopathen abzuwenden.
Osteopathin/Osteopath | Folgen für das Diplom | … für die Berufsbewilligung |
Mit M.Sc. FH in Osteopathie | = Standard nach GesBG | Anspruch, wenn sonstige Voraussetzungen erfüllt |
Mit interkantonalem Diplom GDK (Diplome bis max. 2023) | Automatische Gleichwertigkeit mit M.Sc. FH | Anspruch, wenn sonstige Voraussetzungen erfüllt |
Mit anerkanntem ausländischem Diplom | Automatische Gleichwertigkeit mit M.Sc. FH | Anspruch, wenn sonstige Voraussetzungen erfüllt |
Mit nicht anerkanntem Diplom in Kanton mit bestehender Bewilligungspflicht | Diplomanerkennung bis 1. Februar 2025 erforderlich (noch nicht bestätigt) | Bestehende Bewilligung bleibt im Kanton des Berufsorts gültig |
Mit nicht anerkanntem Diplom in Kanton ohne bisherige Bewilligungspflicht | Diplomanerkennung bis 1. Februar 2025 erforderlich | Bewilligung spätestens bis 1. Februar 2025 erforderlich |
Fachlich nicht eigenverantwortlich bzw. unselbständig Angestellte mit Diplom GDK oder ausl. Diplom | GesBG ist nicht anwendbar Kantonale Regeln sind zu beachten | Keine Bewilligungspflicht nach GesBG, aber: oft kantonale Bew.pflicht Krankenkassen verlangen teilweise anerk. Diplom |
Jedes staatliche Handeln braucht eine gesetzliche Grundlage. Dieser Beitrag liefert Hinweise dazu, wann und wie der staatliche Einsatz künstlicher Intelligenz in eine Rechtsnorm gegossen werden sollte.
Der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) – in einem sehr breiten Sinn verstanden als qualifizierte Automatisierungsprozesse[1] – ermöglicht es auch im öffentlichen Sektor, effizienter und effektiver zu arbeiten sowie aus grossen Datenmengen Nutzen zu ziehen.
Einige Anwendungen stellen lediglich eine alternative Weise dar, eine bereits zuvor erfüllte Aufgabe zu erledigen; so gibt etwa ein Chatbot Informationen zu Krankenkassen-Verbilligungen, die in der Vergangenheit jeweils von einem Mitarbeiter zusammengetragen wurde. Andere bringen jedoch neue Risiken mit sich – etwa sogenanntes «personenbezogenes Predictive Policing», das darauf fokussiert, vorab «gefährliche Personen, sog. ‘Gefährder’, zu identifizieren und durch eine frühzeitige Intervention insbesondere schwere Gewaltdelikte zu verhindern»[2]. Hier kann aus der Anwendung ein grosses Risiko für die Grundrechte derjenigen Personen entstehen, die als Gefährder identifiziert werden, weil Datenattribute basierend auf Typisierungen in der Vergangenheit zu einer Risikoprognose und damit polizeilichen Massnahmen führen können. In diesem Fall bietet die Anwendung Informationen (den errechneten Risikograd) und eröffnet basierend darauf Handlungsmöglichkeiten (die Polizeipatrouille wird basierend auf den Risikograd aktiv), wie sie vor dem Einsatz der neuen Technologie nicht möglich waren.
Wie bei jedem staatlichen Handeln taucht in diesem Kontext sogleich das Stichwort «Legalitätsprinzip» auf. Die Bundesverfassung fordert prominent (Art. 5 Abs. 1 BV): «Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.» Wann brauche ich also eine gesetzliche Grundlage, um eine KI-Anwendung genügend rechtlich abzusichern, und wie hat sie auszusehen?
Das Legalitätsprinzip erfüllt folgende Funktionen[3]:
Aus diesen beiden Dingen lassen sich wiederum folgende Forderungen ableiten:
Unter diesem Titel werden folgende Anliegen zusammengefasst:
Aus diesen rechtsstaatlichen Funktionen leitet die juristische Lehre wiederum ab, dass eine Norm genügend bestimmt zu sein hat und alle Elemente aufweisen muss, die notwendig sind, um die obigen drei Anliegen zu verwirklichen (sogenanntes «Erfordernis der genügenden Normdichte»).
Wer bis hierhin gelesen hat, wird sich fragen: Was heisst das jetzt? Es kommt natürlich (wie immer!) darauf an, und zwar darauf, in welchem Masse die fünf erwähnten Anliegen der Vorherrschaft des Volkswillens, der Gewaltenteilung, der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns, des Schutzes vor Willkür und der Gleichbehandlung im gegebenen Szenario zu finden sind. Die Ausgestaltung einer konkreten gesetzlichen Grundlage wird sich in folgenden zwei Schritten eruieren lassen:
Für die eingangs erwähnten Beispiele lässt sich so aufgrund der betroffenen Funktionen des Legalitätsprinzips Folgendes skizzenhaft behaupten:
Erstens: Ein Chatbot, der eine Behörde dabei unterstützt, eine ihrer Aufgaben dadurch zu erledigen, dass er eine Anfrage sprachlich analysiert und bestehende öffentliche Formulare (ohne Personendaten) herausgibt, braucht keine spezifische gesetzliche Grundlage. Seine Verwendung ist bereits von der allgemeinen Aufgabenerfüllung der Behörde gedeckt (die wiederum in einem Gesetz festgehalten sein sollte!), führt zu keinen Grundrechtseingriffen und weckt daher weder demokratische noch rechtsstaatliche Bedenken.
Zweitens: Personenbezogenes «Predictive Policing» bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Werden Datenattribute einer Person zusammengeführt, analysiert und für eine Vorhersage genutzt, wonach die betreffende Person ein Delikt begehen könnte, so ruft dies die Anliegen des Schutzes vor Willkür, der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns und der Gleichbehandlung auf den Plan. Es ist zu vermuten, dass die Aufnahme auf eine Gefährderliste je nach Situation zu einer erhöhten polizeilichen Aufmerksamkeit führt und je nach Verlauf in einer späteren Festnahme münden kann, also unter Umständen zu gewichtigen Eingriffen in die Rechtsstellung der Person. Das demokratische Anliegen führt zum selben Schluss: Hier ist es allen voran die gesellschaftliche Dimension dieser neuen Vorgehensweise, die einer eingehenden politischen Diskussion und daher einer parlamentarischen Norm bedürfen. Werden damit der Polizei zusätzlich neue Aufgaben auferlegt und werden neue Möglichkeiten des Eingriffs in das Leben des Einzelnen geschaffen, müssen auf höchster gesetzlicher Ebene, also vom Parlament als Legislative in einem formellen Gesetz, Regelungen getroffen werden.
Diese Regelungen zum Predictive Policing müssten zudem Folgendes festhalten (genügende Normdichte):
Ist ein selbstlernendes System im Einsatz, ist auch sicherzustellen, dass die Nachvollziehbarkeit auf Dauer gewährleistet ist, u.a. um dem Recht der betroffenen Person auf Begründung eines behördlichen Entscheids (Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 29 Abs. 2 BV) nachzukommen oder Diskriminierungen vorzubeugen (Art. 8 Abs. 2 BV). Daneben sind auch weitere grundrechtliche Anforderungen zu beachten.
Public Sector Law berät Gemeinwesen regelmässig bei gesetzgeberischen Projekten. Das Verfassen von Gesetzen im Wortlaut gehört zu unseren Kernkompetenzen. Kommen Sie mit uns ins Gespräch!
[1] Der Einfachheit halber basiert die hier verwendete Terminologie auf derjenigen der Studie «Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Verwaltung: rechtliche und ethische Fragen», Schlussbericht vom 28. Februar 2021, Universität Basel, Prof. Nadja Braun Binder, in Zusammenarbeit mit AlgorithmWatch. Vgl. dazu S. 10-11 des Schlussberichts.
[2] Monika Simmler, Simone Brunner, Kuno Schedler, «Smart Criminal Justice – Eine empirische Studie zum Einsatz von Algorithmen in der Schweizer Polizeiarbeit und Strafrechtspflege», Studienbericht vom 10. Dezember 2020, S. 6. Gerne weisen wir darauf hin, dass diese Studie in einem Detailgrad auf verschiedene in Polizei- und Justizwesen aktuell eingesetzte Anwendungen eingeht und diese auch auf ihre Legalität einschätzt, wie es vorliegend nicht möglich ist. Entsprechend empfehlenswert ist die Lektüre des ganzen Studienberichts.
[3] Vgl. zum Ganzen Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. Bern 2014, § 19 n. 12 ff. Zu den Funktionen des Legalitätsprinzips ebenfalls sehr aufschlussreich ist der folgende Aufsatz: Isabelle Häner, Die Einwilligung der betroffenen Person als Surrogat der gesetzlichen Grundlage bei individuell-konkreten Staatshandlungen, ZBl 103/2002, S. 57 ff.
[4] Vgl. dazu Tschannen/Zimmerli/Müller, § 19 n. 4.
In der Corona-Pandemie ist wirksames Handeln von Regierung und Verwaltung zentral. Welche Instrumente sie zur Krisenbewältigung einsetzen, ist auch aus rechtlicher Sicht von grossem Interesse. Exekutiven üben seit Beginn der Pandemie den Spagat zwischen Grundrechtseingriffen und staatlichen Leistungen. Im internationalen Vergleich manifestieren sich im Sommer 2021 die verschiedenen Ansätze.
Selten war das Handeln der Verwaltung stärker im Blickfeld der Öffentlichkeit als während der Corona-Pandemie. Die Behörden müssen zum Schutz der Bevölkerung laufend die epidemiologische Lage einschätzen und Massnahmen treffen. Die finanziellen Folgen davon müssen ausgeglichen werden. Die Eingriffe werden von der Öffentlichkeit zunehmend hinterfragt und mit den Massnahmen anderer Regierungen verglichen. Die Unterschiede sind teilweise beträchtlich. Während einige Staaten grosse Test- und Impfoffensiven fuhren, namentlich in Übersee, setzten manche europäische Länder vorwiegend auf Kontaktverbote und Ausgangssperren. Inselstaaten nutzten den geografischen Vorteil und machten schlicht die Grenzen dicht. Aus wissenschaftlicher Sicht steht bei einem Vergleich der Massnahmen die Frage nach der Wirkung im Vordergrund. So gesehen erstaunen die Unterschiede. Schliesslich überträgt sich ein Virus auf der ganzen Welt gleich.
Typisierung des Verwaltungshandelns
Worin unterscheiden sich nun die Massnahmen aus juristischer Sicht? Oder allgemein: Wie lässt sich Verwaltungshandeln typisieren? Eine gängige Unterscheidung basiert auf der Art und Weise, wie die Verwaltung eine Aufgabe erfüllt. Danach lässt sich Verwaltungshandeln den Gegenpolen Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung zuteilen. Die Eingriffsverwaltung beschränkt Rechte und Freiheiten des Individuums, um eine Aufgabe zu erfüllen. Beispiele dafür sind die Enteignung oder Verbote und Sanktionen im Strassenverkehr. Die Leistungsverwaltung gewährt dagegen Vorteile in Form von Sach-, Geld- oder Dienstleistungen. Zu denken ist etwa an Renten oder Subventionen. Oft lässt die Verwaltung durch Dritte leisten, man spricht dann von Gewährleistungsverwaltung.
Aus Sicht des Einzelnen unterscheiden sich die beiden Typen namentlich darin, wie sie «ankommen»: als Belastung oder Begünstigung. Wichtig ist bei der Unterscheidung, dass es sich um Idealtypen handelt. In der Realität setzt die Verwaltung oft Eingriffs- und Leistungselemente gleichzeitig ein. So ist etwa das Schulwesen als Dienstleistung der Bildungsdirektionen zu verstehen, die aber mit einer entsprechenden Schulpflicht einhergeht.[1]
Mischformen bei den Corona-Massnahmen
Überlappungen zeigen sich auch, wenn man die Corona-Massnahmen einordnet. Gewisse Regelungen lassen sich zwar klar der Eingriffsverwaltung zuordnen, darunter fallen Restaurant- und Ladenschliessungen, Kontaktverbote, Grenzkontrollen und weitere, teils massive Eingriffe in die persönliche Freiheit. Zur Leistungsverwaltung gehören sodann staatlich geförderte Forschung an Universitäten, Hilfsgelder, Beschaffungen von Tests und Impfstoffen, aber auch 24h-Hotlines für die Bevölkerung. Doch eine Reihe von Massnahmen enthält Elemente von Leistung und Eingriff zugleich. Paradebeispiel ist die Verteilung von Schutzmasken, verbunden mit der Maskentragpflicht. Dank Contact-Tracing Systemen lassen sich Ansteckungsketten verfolgen, sie kommen aber mit einer Verpflichtung zur Datenpreisgabe. Kostenlose Impfungen sind sodann an sich des Pudels Kern der Leistungsverwaltung. Während die einen noch immer den Impftermin herbeisehnen, erachten die anderen die Impfung als unakzeptablen Eingriff in die körperliche Integrität und fürchten sich namentlich vor einer Zwangsimpfung. Daraus lässt sich folgendes Zwischenfazit ziehen: In der Pandemie haben alle Staaten der Welt die gleiche Aufgabe, den Schutz der Bevölkerung. Es besteht aber ein breites Repertoire aus Eingriffs- und Leistungselementen, um diese Aufgabe zu erfüllen.
USA, EU und die Schweiz im Vergleich
In der Rückschau treten Unterschiede zutage. Vergleichen wir etwa die beiden westlichen Blöcke USA und EU, wird ersichtlich, wie sie Eingriffs- und Leistungsverwaltung unterschiedlich tariert haben. Zum einen stemmte sich in den USA die Administration Trump gegen landesweite Regeln zu Social Distancing, Maskenpflicht und erst recht Ausgangssperren. Unpopuläre Eingriffe wurden auf die Gouverneure abgewälzt. Zum andern peitschte die Regierung, zusammen mit Grossbritannien, die Entwicklung von Vakzinen mit einem staatlichen Geldregen voran. Die beiden Länder gehörten folglich zu den wenigen, die ihre Impfkampagnen bereits im Dezember 2020 starten konnten. Die Pandemie veranlasste die US-Administration zudem zu Konjunkturpaketen von nie dagewesenem Ausmass. Sehr vereinfacht lässt sich dies auf die Formel bringen: wenig Eingriff, viel Leistung.
Im Gegensatz dazu setzten europäische Staaten mehrheitlich auf die Karte Prävention, mit Freiheitsbeschränkungen und monatelangen Lockdowns. Die Beschaffung von Impfstoffen war faktisch zweitrangig und wurde von der EU-Bürokratie zentral gesteuert. Kostenüberlegungen und Haftungsfragen spielten dabei eine grössere Rolle als eine schnelle Durchimpfung der europäischen Bevölkerung. Die EU-Impfkampagne erlitt einen desaströsen Start, was dazu führte, dass der EU-Block im Sommer 2021 den USA punkto Öffnung der Gesellschaft weit hinterherhinkt. Zögerliche Lockerungen und ein unsicherer Ausblick auf den kommenden Herbst sind die Folge. Die EU-Hilfspakete zur Minderung der wirtschaftlichen Pandemiefolgen liegen im Milliardenbereich, während die USA Billionen ausgegeben haben. Kurz: Starke Eingriffe, wenig Leistung.
In dieser grobkörnigen Analyse steht die Schweiz zwischen den beiden Antipoden. Mangels Alternativen setzten zuerst die Kantone und nach der Verkündung der ausserordentlichen Lage der Bundesrat auf Prävention, das heisst auf Lockdown und Kontaktbeschränkung. Gleichzeitig schnürte der Bund ein Paket zum finanziellen Ausgleich der Schäden, das ungefähr die Hälfte des UBS-Rettungspakets von 2008 ausmachte. Bereits in der Corona-Welle vom Herbst 2020 waren starke Eingriffe indes politisch nicht mehr mehrheitsfähig. Schulen, Hotels und Skigebiete blieben offen. Eine Reihe von Verboten wurde durch Verwaltungsgerichte für unzulässig oder verfassungswidrig erklärt. Bei der Impfung gehörte die Schweiz naturgemäss zu den Kleinkunden, die keine Vorzugskonditionen erwarten durfte. Dennoch schlug der Bundesrat das Angebot einer Sondercharge Impfdosen für die Schweiz aus. Die Impfkampagne lief spät und schleppend an. Selbst die Höhe der Hilfsgelder geriet politisch in Kritik, wurde aber mit der Annahme des Covid-19-Gesetzes durch das Stimmvolk klar gutgeheissen. Obgleich die Schweiz durch ihre Nachbarschaft zum ersten europäischen Krisenherd in der Lombardei besonders vulnerabel war, kam sie mit Blick auf Europa mit vergleichsweise milden Eingriffen durch die Pandemie.
Real divergierende Auffassungen zur sozialen Marktwirtschaft?
Es liegt noch viel Pulverdampf aus dem Arsenal der Corona-Massnahmen in der Luft. Es werden aber Muster sichtbar, die erstaunen. So liegen die Unterschiede zwischen den grossen Blöcken bei den Eingriffen im Bereich des Erwarteten, wird doch die individuelle Freiheit gemeinhin als höchstes Gut der Amerikaner bezeichnet. Bei den Leistungen, namentlich der Beschaffung von Impfstoffen und den Hilfspaketen, hätte man hingegen von den sozialen Marktwirtschaften Europas, insbesondere mit Blick auf die Staatsquoten und die staatlich gesteuerten Gesundheitssysteme, mehr erwartet. Die Gründe dafür mögen in der Realpolitik oder schlicht in der unterschiedlichen finanziellen Schlagkraft liegen. Vielleicht bestehen aber tatsächlich auch abweichende Auffassungen über den Wert der Freiheit oder ein unterschiedliches Vertrauen in die Industrie und den Markt. Als Diskussionsbeitrag sei hier die These gewagt, dass die Pandemie die Trennlinien zwischen der freien und der sozialen Marktwirtschaft verwischt hat.
Herauszufinden, wie die beiden Blöcke und auch die Schweiz die Krise gemeistert hätten, wenn sie Mitigation (Eingriff) und rasche Impfkampagne sowie Schadensausgleich (Leistung) kombiniert hätten, bleibt Historikerinnen und Biostatistikern überlassen. Auf deren künftiges Urteil über den Spagat zwischen staatlichem Eingriff und Leistung darf man gespannt sein.
[1] Zum Ganzen: Tschannen/Zimmerli/Müller: Allgemeines Verwaltungsrecht 4. A., S. 23 ff.; Häfelin/Müller/Uhlmann: Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A., S. 7 ff.
Am 8. Juni 2021 hat der Ständerat der Schaffung einer Nationalen Menschenrechtsinstitution als Erstrat zugestimmt. Damit geht es einen Schritt weiter in einem Projekt, das die Schweiz seit 2002 beschäftigt. Worum geht es und wieso dauerte es so lange?
Das Konzept der Nationalen Menschenrechtsinstitution (NMRI) wurde 1993 an der Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien lanciert. In der gemeinsamen Schlusserklärung wurde jeder Staat dazu angehalten, eine unabhängige Menschenrechtsinstitution einzurichten. Die UNO-Generalversammlung in Paris bestätigte die Erklärung noch im gleichen Jahr. Die sogenannten Pariser Prinzipien sehen insbesondere vor, dass die NMRI gesetzlich verankert und unabhängig ist, über ein umfassendes Mandat zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte verfügt, pluralistisch zusammengesetzt ist und eine ausreichende (staatliche) Grundfinanzierung erhält.
Die Idee der NMRI besteht u.a. darin, Fragen der Menschenrechte präventiv und unabhängig von der Verwaltung zu bearbeiten und die Verwaltung sowie auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft zu beraten. Damit soll die NMRI eine Lücke füllen zwischen dem Handeln der staatlichen Behörden und dem gerichtlichen Rechtsschutz, der wesensgemäss erst nachträglich greift. Ständerat Carlo Sommaruga (SP/GE) brachte das Beispiel überfüllter Untersuchungsgefängnisse – eine Situation, in der präventive Unterstützung der Behörden eine Verbesserung der grundrechtlichen Situation herbeiführen kann und so langwierige Gerichtsverfahren verhindert werden können.
Der Ständerat hat nun dem Entwurf des Bundesrats, der die NMRI im Bundesgesetz über Massnahmen zur zivilen Friedensförderung und zur Stärkung der Menschenrechte verankert, zugestimmt, womit das Geschäft als nächstes in den Nationalrat kommen wird. Eine Kernfrage der Debatte im Ständerat war die Definition der Aufgaben der NMRI – möglichst offen, damit die NMRI neuen Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte begegnen kann, oder eher eng, um Kompetenzkonflikte mit bereits bestehenden Behörden zu vermeiden? Der Ständerat entschied sich für Letzteres und stimmte damit der bundesrätlichen Formulierung zu, auch wenn dieser Punkt von einigen Ratsmitgliedern kritisiert wurde, weil nur teilweise kompatibel mit den Pariser Prinzipien.
Damit geht es vorwärts in einem Thema, das bereits seit Langem auf dem Tisch liegt und das dennoch bislang kaum Fortschritte verzeichnete. Auch wenn die Schweiz 1993 noch nicht Mitglied der UNO war, bekannte sie sich bereits früh zu der Resolution von 1993, ohne jedoch selbst Schritte zur Einrichtung einer NMRI zu unternehmen. Ein Postulat forderte den Bundesrat im Jahre 2002 auf, abzuklären, ob in der Schweiz Bedarf einer unabhängigen Menschenrechtsinstitution bestehe. Der Bundesrat kam zum Schluss, dass zwar Bedarf bestehe, dennoch sei es für die Einrichtung einer NMRI zu früh. Deshalb wurde vorerst im Rahmen eines Pilotprojekts das universitäre „Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte“ (SKMR) gegründet, das seine Tätigkeit Anfang 2011 aufnahm. Die externe Evaluation dieser Pilotphase ergab 2015, dass die SKMR nützliche Dienstleistungen erbringt. Gleichzeitig zeigten sich auch Defizite (u.a. hinsichtlich der gesetzlichen Verankerung und ungenügender Unabhängigkeit). Die Verzögerung in der Schaffung einer NMRI dürfte wohl einerseits der als gut befundenen Arbeit des SKMR zuzuschreiben sein, andererseits auch der Tatsache, dass Bemühungen für eine präventive Stärkung der Menschenrechte angesichts dringenderer politischer Themen tendenziell wohl einen schweren Stand haben. Umso mehr ist die Arbeit des Parlaments nun zu begrüssen.
Dank geht an Gian Heimann, Student an der Uni Zürich, für seine Mitwirkung an diesem Beitrag.
Unter dem Titel “der digitale Staat” lassen wir am 29. April 90 Minuten lang ein Forum für Austausch, Wissenstransfer und Vernetzung entstehen. Zum Einen hören wir von der Eidgenössischen Zollverwaltung EZV, die ein umfassendes digitales Transformationsprogramm durchführt. Daraus wird uns ein konkretes Praxisbeispiel vorgestellt. Zum Anderen hat der Bundesrat Ende 2020 beschlossen, den Aufbau eines Kompetenznetzwerks für künstliche Intelligenz in der Bundesverwaltung an die Hand zu nehmen. Was darf man sich davon erhoffen und wohin führt die Reise? Danach bleibt Zeit für Fragen und Austausch.
Der Anlass ist unentgeltlich und richtet sich primär an Mitarbeitende des öffentlichen Sektors jeglicher Ebene (nicht nur Juristinnen und Juristen) – aber auch andere interessierte Personen sind selbstverständlich willkommen. Anmeldungen sind bis 27. April unter webinar@publicsector.ch möglich. Wir freuen uns auf Sie!